Kultur

Filmtipp „Die Geheimnisse des schönen Leo“: Ein Doppelleben in der Bonner Republik

Wegen Schulden war er zu allem fähig: Der Dokumentarfilm „Die Geheimnisse des schönen Leo“ erzählt vom Absturz des CSU-Mitbegründers Leo Wagner und von den Abgründen des Politikbetriebs in den 60er-Jahren.
von ohne Autor · 18. Januar 2019
Ausschnitt aus dem Film „Die Geheimnisse des schönen Leo“
Ausschnitt aus dem Film „Die Geheimnisse des schönen Leo“

Das Leben einer Spitzenpolitikerin oder eines Spitzenpolitikers hinterlässt meist tiefe Spuren, auch bei den Nächsten. Das ist bekannt. Und doch kommen immer wieder besonders drastische Geschichten ans Licht. Man denke nur daran, wie die Zerrüttung der Familie Kohl nach dem Ableben des ehemaligen Bundeskanzlers erneut die Schlagzeilen bestimmte. Auch die Vita von Leo Wagner, dem Mitbegründer der CSU und Intimus von Franz Josef Strauß, hat in dieser Hinsicht einiges zu bieten. Und da wäre noch die Stasi.

Leo Wagner (1919-2006) ist heute nahezu vergessen. Das war in den 70er-Jahren ganz anders. Wagner soll einer von zwei Bundestagsabgeordneten der Unionsfraktion gewesen sein, die 1972 das Misstrauensvotum gegen Kanzler Willy Brandt haben platzen lassen. Angeblich hatte die Stasi Wagners Enthaltung mit 50.000 Euro erkauft, berichtete damals der „Spiegel“. Geld, das Wagner gut brauchen konnte. Sein aufwendiges Leben in Nachtclubs und mit diversen Geliebten hatte ihn in den Ruin getrieben. Wenn er sich bei Frau und Kindern im bayerischen Günzburg blicken ließ, wahrte der Patriarch die Fassade. Als er wenige Jahre später auf der Schwarzen Liste der Banken steht, schmeißt Wagner seinen Posten als Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe. Wegen Kreditbetrugs wird er zur einer Bewährungsstrafe verurteilt. Fortan wird kolpotiert, Wagner sei von Ost-Berlin, wissentlich oder unwissentlich, abgeschöpft oder sogar als Inoffizieller Mitarbeiter geführt worden. Eindeutige Beweise für all das gibt es bis heute nicht.

Verlogen und dreist

In „Die Geheimnisse des schönen Leo“ beschäftigt sich Wagners Enkel Benedikt Schwarzer mit der Frage, wie sich der verlogene Lebensweg und all die durchtriebenen Entscheidungen auf das Leben seiner engsten Angehörigen ausgewirkt haben und bis heute auswirken. Also auch auf ihn selbst, mag er, 1987 geboren, den Großvater, auch kaum gekannt haben. Schwarzer stellt Fragen, die er ihm persönlich nie stellen konnte.

Dokumentarfilme über die eigene Familie laufen oft Gefahr, sich zu sehr von eigenen Affekten leiten zu lassen. Die faktische Distanz zum Protagonisten könnte Schwarzer geholfen haben, auch in seiner Erzählung nicht im persönlichen Fokus zu verharren. Er zeigt Wagner stets von mehreren Perspektiven. Ob sein ehemaliger Fahrer, Kriegskameraden, Kontaktpersonen aus Nachtclubs oder Bonner Journalisten: Sie alle zeigen in den Interviews einen ganz eigenen Blick auf einen letztendlich lebensgierigen Menschen, dem jahrzehntelang ein Spagat zwischen anspruchsvollen Gelüsten und bürgerlichen Konventionen gelang. Der Versuch, Wagners Vita auch aus seinen Kriegserfahrungen abzuleiten, bleibt hingegen blass.

Ausdruck einer vergangenen Politiker-Ära

Gleichzeitig wird deutlich, wie sehr Wagners Lebensstil Ausdruck einer vergangenen Politiker-Ära ist. Man fragt sich: An welchem Punkt verlor dieser nach außen hin so charmant und souverän aufretende Herr die Kontrolle? Zur Stasi-Verstrickung bringen die Gespräche mit Forschern und Zeitzeugen – darunter ein älterer Herr, der sich als Wagners Führungsoffizier vorstellt – unterm Strich nichts Neues. Grell-bunte Super-8-Aufnahmen setzen den früheren Schulleiter immer wieder im Familienkreis ins Bild. Schnell ist zu erahnen, dass die Idylle trügt. Und doch sind die Abgründe, die Stück für Stück ausgebreitet werden, erschütternd. Mitunter auch überraschend: Nach den Recherchen musste Schwarzer das Bild von seiner Familie gründlich überdenken.

Schwarzers Film versteht sich auch als Zeitreise in die Untiefen der (Männer-)Welt der Bonner Republik der 60er- und frühen 70er-Jahre. Darin liegt auch sein eigentlicher Reiz. Die Dokumentation hangelt sich nicht nur an Gesprächsfetzen entlang: In atmosphärisch dichten Rückblenden, etwa aus der Kölner Halbwelt, werden die geheimen Sphären des Parlamentariers aus der Provinz sinnlich greifbar und mit den „sichtbaren“ Seiten des politischen Geschäfts in Bonn verknüpft. Dabei kommen fast schon Thriller-Gefühle auf. Film- und Fernsehaufnahmen erwecken eine Zeit lange vor jeglichen „MeToo“-Debatten zu neuem Leben. Dabei schwingt die Frage mit: Wo stehen wir heute?

Info: „Die Geheimnisse des schönen Leo“ (Deutschland 2018), ein Film von Benjamin Schwarzer, mit Ruth Schwarzer, Alfred Sauter, Peter Miroschnikoff u.a., 80 Minuten.

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