Kultur

Filmtipp: Der serbische Anwalt

Wie verteidigt man einen ehemaligen Kriegstreiber wie Radovan Karadzic? Der Dokumentarfilm „Der serbische Anwalt“ erzählt vom tückischen Nebeneinander von Beweisführung und Erinnerung.
von ohne Autor · 9. Oktober 2015
Filmtipp: Der serbische Anwalt
Filmtipp: Der serbische Anwalt

Mag es auch noch so mühe- und verdienstvoll sein, sie zu finden: Die juristische Wahrheit ist immer nur eine von vielen Wahrheiten. Dieser Erkenntnis steht der Anwalt Marko Sladojevic nach zehn Jahren am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gegenüber. Dort wird in diesem Herbst, 20 Jahre nach dem Massaker von Srebrenica, das Urteil gegen jenen Mann erwartet, der als einer der Drahtzieher des schlimmsten Massenmordes in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs gilt: Radovan Karadzic.

Es gibt viele Wahrheiten

Im Mittelpunkt des Films steht der Verteidiger des früheren bosnischen Serbenführers, ebenjener Marko Sladojevic. Allein diese Konstellation verweist auf die Verwicklungen, die nicht nur den 39-jährigen Juristen betreffen, sondern eine ganze Generation aus dem ehemaligen Jugoslawien. Von heute auf morgen wurden die Heranwachsenden mit schlimmsten Kriegsverbrechen konfrontiert und aus ihrer Jugend gerissen. Solche Narben halten lange und zeitigen überraschende, mitunter widersprüchliche Wirkungen. Wie gesagt: Es gibt viele Wahrheiten.

Für die Überlebenden des Schlachtens in Bosnien liegt sie in der Trauer um geliebte Menschen, die nationalistische Hetzer wie Karadzic auf dem Gewissen haben. Aus ihrer Sicht ist die juristische Aufarbeitung der Verbrechen eine Farce. Sie interessieren sich nicht für schriftliche Beweise oder für die Frage, wer wann wo war. Für sie ist die moralische Schuld eine absolute. Vor dem Gerichtsgebäude sehen wir ältere Damen mit ihren Transparenten ihren Kampf gegen einen, wie sie es sehen, Sieg der Lügen ankämpfen. Als ob ihre Söhne, Brüder und Männer damit ein zweites Mal in den Tod geschickt würden.

Gesamtbild über Karadics Rolle

Sladojevic war mit einer genau entgegengesetzten Einstellung in das Verfahren gegangen, das vor gut sechs Jahren begann. Nicht allein die juristische Beweisführung an sich trieb ihn dabei an. Er wollte auch dazu beitragen, ein Gesamtbild von den Gewaltexzessen und über Karadzics Rolle liefern. Damit am Ende keine Verkürzungen und Überzeugungen, sondern Fakten für so etwas wie eine historische Wahrheit stehen. Für jemanden, der Ende 1998 von Belgrad in die Niederlande ging, um dort internationales Recht zu studieren, ist ein solches Mandat keine Selbstverständlichkeit.

Schließlich hatte Sladojevic seiner serbischen Heimat den Rücken gekehrt, weil er genug hatte von dem Leben unter dem Joch von Karadzics Verbündetem, dem damaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic. Ausgerechnet diesen Mann wird er wenige Jahre darauf ebenfalls verteidigen. Es ist der Auftakt einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die den serbischen Karrierejuristen nicht nur im Gerichtssaal oder in der Kanzlei in Atem hält.

Der ebenfalls aus Serbien stammende Regisseur und Drehbuchautor Aleksandar Nikolic erzählt nicht nur von dem Anwalt, sondern auch von dem Menschen Sladojevic. Zumal diese Trennung für den Protagonisten zum Zeitpunkt des Drehs ohnehin längst obsolet war. Nicht nur, aber auch, weil er im Verteidigerteam von Milosevic seine spätere Frau kennengelernt hat. Mit deren slowenischer Familie kommt es immer wieder zu ergiebigen Diskussionen.

Auseinandersetzung mit der Geschichte

Wenn wir den Anwalt dabei begleiten, wie er in lässiger Sommermode durch Sarajevo oder die bosnische Serbenrepublik kurvt, um Zeitzeugen zu befragen, dann geht es nicht nur um die Materialbeschaffung für die Strategie vor Gericht. Sladojevic durchlebt die kriegerischen Ereignisse und seine Belgrader Jugend ein weiteres Mal. Die Zuschauer erleben den Bewusstseinsstrom in Fernsehbildern aus den 90er-Jahren, hinzu kommen private Super-8-Aufnahmen aus seiner Kindheit und Jugend. Um all die Dinge einzuordnen, liefert Nikolic sporadische Kommentare.

Im Wesentlichen geht es aber um Sladojevics Wahrnehmung und was sie mit ihm anstellt. War er anfangs um die juristische Wahrheit bemüht, schwindet sein Glaube an deren Aussagekraft zunehmend. Er selbst sagt es, nachdem in Den Haag 600 Zeugen gehört und 11.500 Beweisstücke ausgewertet worden sind, so: „Ich frage mich, ob es einen Sinn in all dem gibt. Ich kam her, angeblich um eine Art Wahrheit zu finden, aber mir scheint, je mehr ich weiß, desto weniger verstehe ich.“

Alles in allem ist „Der serbische Anwalt“ keine klassische Gerichtsdokumentation, sondern eine biografisch eingefärbte Beschäftigung mit der Frage, ob und wie Menschen mit den Mitteln der Vernunft eine Zeit aufarbeiten können, der sie alles andere als unvoreingenommen gegenüberstehen. Nikolic zeigt aber auch, was die permanente Auseinandersetzung mit der Wahrheit und den Wahrheiten mit dem anstellt, der sie führt. Beide Stränge bieten erhellende wie berührende Erkenntnisse. Nikolic verbindet mit seinem Film eine fast schon naiv anmutende Hoffnung: Dass er einen kleinen Teil dazu beiträgt, dass Menschen an einer gemeinsamen Erzählung von der Vergangenheit arbeiten – basierend nicht auf Hass und Angst, sondern auf dem Wunsch, in Frieden zu leben.


Info: Der serbische Anwalt – verteidige das Unfassbare!(Deutschland 2014 2015), ein Film von Aleksandar Nikolic, 82 Minuten, OmU. Jetzt im Kino

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