Kultur

Filmtipp „Der Fall Sarah & Saleem“: Eine verhängnisvolle Affäre in Nahost

Aus Geschichten über heimliche Liebesaffären lernt man, dass am Ende alle verlieren. Doch welches tragische Potenzial besitzt so eine Liaison vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts? Der palästinensische Regisseur Muayad Alayan überzeugt mit einem ebenso illusionslosen wie intensiven Blick auf die Dinge.
von ohne Autor · 15. März 2019

In seinem neuen Film „Der Fall Sarah & Saleem“ geht es um die erotische Beziehung zwischen einer israelischen Café-Betreiberin und einem palästinensischen Lieferanten im geteilten Jerusalem. Abends treffen sie sich zum Schäferstündchen in seinem Lieferwagen. Beider Partner scheinen nichts zu ahnen. Doch eines Abends werden Sarah und Saleem unvorsichtig. Fortan schwebt umso mehr die Gefahr über den leidenschaftlichen Begegnungen am Stadtrand. Zunächst wird Saleem von den palästinensischen Sicherheitsbehörden drangsaliert. Als israelische Truppen in Ost-Jerusalem einrücken, gerät der angehende Familienvater in die Fänge des Militärgeheimdienstes.

Sarah, verheiratet mit einem Oberst der Armee, steht vor einer schweren Entscheidung: Stützt sie die Vorwürfe des Geheimdienstes, der ihrem Liebhaber vorwirft, in Israel Spione zu rekrutieren? Dann wären Saleem und seine Familie verloren. Erzählt sie, was wirklich geschehen ist, setzt sie ihre eigene Existenz aufs Spiel. Ein Sicherheitsrisiko ist sie nun ohnehin.

Nichts als Sex

Das, was geschehen ist, war nichts als Sex. Es bleibt offen, was für die beiden den endgültigen Anstoß gegeben hat, sich in dieses Abenteuer zu stürzen. War es das Spiel mit dem Feuer? Der Kitzel, eine Grenze zu überschreiten, während um die beiden herum ein Konflikt biblischen Ausmaßes den Alltag überlagert? Muayad Alayan wirft einen völlig illusionslosen Blick auf die Sex-Partner aus zwei verfeindeten Lagern, die sich kaum als Liebende bezeichnen würden. Ebenso nüchtern wie subtil werden auch die anderen Stränge der Handlung, die zum Teil auf wahren Begebenheiten beruht, erzählt. Zum Beispiel die Schlinge, die sich immer enger um die Protagonisten zieht, ohne dass es ihnen bewusst wird.

Der bereits auf mehreren internationalen Festivals gezeigte Film nimmt sich reichlich Zeit, um die Verhältnisse beiderseits der Mauer zu beleuchten. Saleem lebt mit seiner hochschwangeren Frau, einer Studentin, in einer kleinen Wohnung. Das Geld reicht hinten und vorne nicht. So übernimmt Saleem zusätzlich zum Job als Brot-Ausfahrer in West-Jerusalem noch Kurierfahrten in den Palästinensergebieten. Sarah blickt von ihrem Balkon auf die Hügel rings um das Häusermeer und die Sperranlagen. Anstelle von wirklicher Weite hat diese Perspektive etwas Klaustrophobisches. Dass ihr Mann sicherheitssensiblen Aufgaben nachgeht, lockert auch nicht gerade die Stimmung.

Misstrauen kostet Kraft

So entsteht ein intensives Psychogramm zweier Gesellschaften, die auf politischer und militärischer Ebene einer nicht enden wollenden Konfrontation ausgesetzt sind. Misstrauen gegenüber der anderen Seite steht hoch im Kurs. Eine Haltung, die den Blick trübt und viel Kraft kostet. Anderseits gibt es zwischen Israelis und Palästinensern mehr Berührungspunkte, als sich viele Akteure, auch im Film, eingestehen wollen. Wie sonst hätten sich Sarah und Saleem überhaupt kennenlernen können? Der Irrsinn in ihrem persönlichen Leben wie auch in der jeweiligen Gesellschaft wird schonungslos festgehalten, ohne zu sehr auf Melodramatik oder Gewaltorgien zu setzen. Häufig sind die Gesichter der Akteure in Großaufnahmen zu sehen, sodass ihre emotionale Energie auch dann zu spüren ist, wenn es nichts zu sagen gibt. Als Kontrast fängt die verwackelte Handkamera immer wieder quasi-dokumentarische Straßenszenen aus beiden Teilen Jerusalems und der West-Bank ein. So wird jede Autofahrt zu einem soghaften Trip.

Auch mit hoffnungsvollen Elementen hält sich dieser ebenso realistisch wie naturalistisch inszenierte Film zurück. Wohl aber zeigt der in Ost-Jerusalem aufgewachsene Muayad Alayan, der die meisten Filme über seine Heimat als zu romantisierend empfindet, wie sich Menschen in extremen Situationen weigern, das zu tun, was von ihnen erwartet wird. „Sind wir in der Lage, unsere eigenen Privilegien für jemand anderen zu riskieren oder setzen wir uns immer an erste Stelle?“, fragt der 1985 geborene Filmemacher sich und uns. Durch den Fokus auf menschliche Grundfragen weist diese berührende Produktion – trotz des erdrückend präsenten Kontextes – weit über den Nahostkonflikt hinaus.

Info:

„Der Fall Sarah & Saleem“ (PSE/NL/DE/MEX 2018), 127 Minuten, Sprachen: Arabisch/Hebräisch/Englisch mit deutschen Untertiteln, Regie: Muayad Alayan, Drehbuch: Rami Alayan, mit Sivane Kretchner, Maisa Abd Elhadi, Ishai Golan, Adeeb Safadi u.a.

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