Filmtipp „Crescendo“: Ein Orchester spielt für den Frieden im Nahen Osten
christian lüdeke
Musik wird ja bekanntlich eine integrierende und visionäre Kraft zugeschrieben. In der verfahrenen Dauerkrise zwischen Israelis und Palästinensern sind beide Effekte gefragter denn je. Das denken sich auch die Initiator*innen einer Friedenskonferenz in Südtirol. Vor der beschaulichen Alpenkulisse soll endlich eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts gefunden werden. Einen besonderen Schub erhofft man sich durch den Auftritt eines Orchesters mit jungen Musiker*innen aus Israel und den Palästinensergebieten.
Im wahren Leben gibt es längst so ein musikalisches Ensemble, das zudem ziemlich berühmt ist. 1999 gründete der Dirigent Daniel Barenboim mit zwei Partnern das Orchester des west-östlichen Divans. Dieses vereint Künstlerinnen und Künstler aus Israel, den palästinensischen Autonomiegebieten und einigen arabischen Ländern.
Gegensätzliche Welten suchen nach Harmonie
„Crescendo“ erzählt davon, wie schwierig es ist, so ein Orchester erst einmal zu formieren. Nicht nur im künstlerischen, sondern auch im praktischen Sinne. Für diejenigen, die sich von den Palästinensergebieten nach Tel Aviv aufmachen, wo der weltbekannte Dirigent Eduard Storck (Peter Simonischek) Kandidat*innen für ein 20-köpfiges Kammerorchester vorspielen lässt, droht der Traum bereits am Checkpoint der israelischen Armee zu scheitern. Die jungen Leute aus Tel Aviv können sich hingegen darauf konzentrieren, an ihrem Instrument zu glänzen. Doch siehe da: Anders als erwartet, scheint sich aus diesen so unterschiedlichen Persönlichkeiten tatsächlich ein funktionierendes Ensemble zu formen.
Diese frühe Phase bietet die eindringlichsten Szenen des Films, auch wenn sich die früh erkennbaren Konflikte im Sinne des musikalischen Crescendo langsam steigern und erst im weiteren Verlauf in ihrer ganzen Tragweite entladen. Auch der schönste Alpenblick kann die Gemüter kaum beruhigen. Umso mehr ist Storcks ganze Autorität gefragt: Bei den Proben im Norden Italiens achtet er nicht nur auf den richtigen Ton, sondern auch darauf, dass die Frauen und Männer an ihrer Toleranz arbeiten. Das hat was von einer Psychotherapie.
Wenn Visionen scheitern
Dass der Film des israelischen Regisseurs Dror Zahavi die Thematik und seine Figuren ernst nimmt, zeigt sich daran, dass er sich einem eindeutigen Happy End verweigert. Auch wenn man dies gerade den jungen Hauptfiguren durchaus wünschen würde. Layla und Omar gelingt tatsächlich der Sprung von der Westbank in die große weite Welt der Musik. Zudem werden Omar und die Israelin Shira ein Paar. Layla hat hingegen ihre Mühe damit, sich mit dem musikalischen Platzhirsch und Hitzkopf Ron aus Tel Aviv zu arrangieren. Doch es zeigt sich eben auch, dass eine fixe Idee und ein dummer Zufall selbst der größten Vision gefährlich werden können.
„Crescendo“ wurde von der CCC Filmkunst mit Partnern in Deutschland, Österreich und Italien koproduziert. Der Film setzt eine Reihe von Filmen fort, die das Unternehmen des 2019 verstorbenen Produzenten Artur Brauner seit einigen Jahren realisiert hat, um die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten und beziehungsweise oder für das Verständnis zwischen Juden und Nichtjuden zu werben – man denke etwa an das Drama „Der letzte Zug“. Dieser Anspruch wird auch in „Crescendo“ mal mehr, mal weniger subtil transportiert.
NS-Vergangenheit belastet den Maestro
Problematisch ist, dass die Handlung durch eine zweite Ebene überfrachtet und gerade in der zweiten Hälfte zu plakativ geraten ist. Nach und nach kommt die NS-Vergangenheit von Storcks Eltern ans Licht. Der Sohn schleppt das braune Erbe seit Jahrzehnten mit sich herum, doch es gelingt nicht wirklich, diesen psychologischen Ballast mit der eigentlichen Geschichte zu verknüpfen. Dessen ungeachtet liefert Peter Simonischek als Dirigent, der verschiedenste Fäden in der Hand hält, eine beeindruckende und völlig unaufdringliche Leistung ab.
Leider wird die Musik nur bedingt zum Klingen gebracht. Natürlich ist es eine Herausforderung, ein Orchester stimmig in Szene zu setzen, das sowohl aus musikalisch unbeleckten Schauspieler*innen als auch aus schauspielerisch ungeübten Musiker*innen besteht. Warum die Partituren im Zeichen von „Make Music, not War“ im sterilen Breitwandsound, der ein Orchester unter perfekten Konzertbedingungen suggeriert, zu hören sind, scheint wohl dem Bestreben geschuldet zu sein, mit einer glatten Ästhetik ein möglichst großes Publikum zu erreichen. Gleiches lässt sich von der Bildsprache zu sagen.
Natürlich wäre es zu wünschen, dass sich die Friedensbotschaft von „Crescendo“ in möglichst vielen Köpfen festsetzt. Das Ergebnis wäre allerdings überzeugender, hätte man mehr Kraft in Drehbuch und musikalische Umsetzung als in die Ästhetik des „großen Kinos“ investiert.
Info: „Crescendo“ (Deutschland/ Österreich/ Italien 2018/2019), ein Film von Dror Zahavi, mit Peter Simonischek, Bibiana Beglau, Daniel Donskoy, Sabrina Amali u.a., ab sechs Jahre
Jetzt auf DVD, Blu-ray und als Video On Demand
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