Filmtipp „Colectiv“: So tödlich sind Rumäniens Krankenhäuser
Diese Geschichte klingt nach einem Thriller, doch sie ist bittere Realität. Im Oktober 2015 sterben 27 junge Menschen bei einem Brand im Bukarester Nachtklub „Colectiv“. 37 Überlebende, die mit schweren Verletzungen in Krankenhäuser gebracht wurden, finden dort innerhalb weniger Tage den Tod. Der Skandal führt zu aufgebrachten Protesten gegen systematische Schlamperei, Korruption und Betrug. Am Ende tritt die sozialdemokratische Regierung zurück.
Enthüllungen der Tageszeitung „Gazeta Sporturilor“ hatten die Sache ins Rollen gebracht. Ausgerechnet eine boulevardeske Sportzeitung zweifelte als erstes Medium an der offiziellen Darstellung der Brandkatastrophe und ihrer Folgen. Laut den Verlautbarungen der Regierung wurde den Schwerverletzten die bestmögliche Behandlung zuteil. Tatsächlich verzögerten Kliniken die Verlegung der Patient*innen ins Ausland. Vor allem aber starben 37 junge Frauen und Männer an tödlichen Keimen.
Ein mysteriöser Fall
Und zwar, weil in den Krankenhäusern mit einem Reinigungsmittel gearbeitet wurde, das der geldgierige Hersteller gestreckt hatte, offenbar mit Wissen der Behörden. Die unternahmen allerdings nichts. Weil sie mit dem Boss von Hexi Pharma unter einer Decke steckten? Dass eben dieser Unternehmer bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt, verstärkt das mysteriöse Potenzial dieses Falls.
In seinem Dokumentarfilm „Colectiv“ rekonstruiert der deutsch-rumänische Filmemacher Alexander Nanau einen verästelten Vorgang, der viele dunkle Seiten des Geflechts aus Politik und Wirtschaft in Rumänien offenbart. Ursprünglich weilte der heute 41-Jährige in seinem Geburtsland, um einen Film über das Verhältnis zwischen Politik und Öffentlichkeit zu drehen.
Bedeutung einer freien Presse
Indem er das Geschehen nach dem „Colectiv“-Brand aufgriff, tat er genau dies. Nanau macht deutlich, dass es eine kritische und mutige Presse braucht, um die Regierung zu kontrollieren und Missstände aufzudecken. Und das zu einer Zeit, wo sich Medienschaffende auch in Deutschland zunehmend Anfeindungen ausgesetzt sehen – man denke nur an die Angriffe am Rande von „Querdenken“-Demonstrationen.
Große internationale Resonanz
„Colectiv“ kam Anfang vergangenen Jahres in die rumänischen Kinos und fand große internationale Resonanz. Bei den Filmfestspielen von Venedig wurde die Produktion, an der auch der Mitteldeutsche Rundfunk beteiligt war, vorgestellt. Rumänien schickte das äußerst unbequeme und aufwühlende Werk ins Rennen um den Auslandsoscar. Zudem kann Nanau den Europäischen Filmpreis auf der Habenseite verbuchen.
14 Monate lang begleitete Nanau die Journalist*innen Catalin Tolontan und Mirela Neag bei ihrer Arbeit. Ob bei Pressekonferenzen und im Redaktionsbüro oder während Gesprächen mit vertraulichen Quellen und Hinterbliebenen der Brandopfer: Meist bleibt die Kamera ganz nah dran und die Zuschauenden waten mit den Protagonist*innen immer tiefer durch ein Dickicht von enormer krimineller Energie.
Eine ungeheuerliche Geschichte
Man ist nahezu live dabei, wie Tolontan und Neag den Skandal Stück für Stück zusammentragen und öffentlich machen. Dieses in schnellen Schnitten festgehaltene Rechercheprotokoll entwickelt einen enormen Sog, lässt uns kaum Luft holen und überrascht durch die Offenheit und Nähe, die die Recherchierenden gegenüber dem Filmteam zuließen.
Nähe geht in Nanaus Film oft einher mit Schonungslosigkeit. Das gilt besonders für die Szenen mit der Künstlerin Tedy Ursuleanu. Im „Colectiv“ erlitt sie schwerste Verbrennungen. Ihr Leiden verarbeitet sie in inszenierten Fotos, deren Entstehung und Präsentation ebenfalls eingefangen werden. Ursuleanu ist geradezu ein lebendes Mahnmal für eine ungeheuerliche Geschichte, schafft zugleich aber auch einen emotionalen und künstlerischen Zugang zu dem Stoff.
Der Anfang zählt
Eine überraschende Nähe ermöglichte auch ein anderer Akteur, der ab der zweiten Hälfte zunehmend Raum einnimmt. Nach dem Rücktritt der besagten Regierung amtiert Vlad Voiculescu als Gesundheitsminister eines Übergangskabinetts aus Technokraten. Der Ökonom verspricht, darauf hinzuwirken, dass Krankenhäuser künftig nicht der Bereicherung Einzelner, sondern dem Wohl der Patient*innen verpflichtet sind. Vor der Kamera ist er nicht nur bei den üblichen PR-Terminen, sondern auch bei nicht öffentlichen Sitzungen zu erleben. Wie alteingesessene Bürokrat*innen dem jungenhaften Politikneuling die Grenzen aufzeigen, ist ebenso grotesk wie bedrückend.
Für Voiculescus Bemühen wie auch für die gesamte Erzählung gilt: Man fragt sich, wo all das enden wird. Ebenso wird klar: Es braucht unerschrockene Journalist*innen und Politiker*innen, um zumindest einen Anfang zu machen.
Info: „Colectiv – Korruption tötet“ (Rumänien/ Luxemburg 2019), Regie: Alexander Nanau, Drehbuch: Antoaneta Opris, mit Catalin Tolontan, Camelia Roiu, Tedy Ursuleanu, Mirela Neag u.a., 109 Minuten
Bis zum 22. Februar abrufbar in den Mediatheken von ARD und MDR+
https://www.ardmediathek.de/ard/
https://www.ardmediathek.de/mdr/