Kultur

Filmtipp „Bigger Than Us“: So machen junge Menschen die Welt besser

Ob Umweltschutz oder Menschenrechte: Auf der ganzen Welt gibt es zivilgesellschaftliche Projekte, die von Kindern und Jugendlichen gestartet wurden. Der Dokumentarfilm „Bigger Than Us“ zeigt, Menschen, die eine Menge bewirken können.
von ohne Autor · 17. Februar 2023
Grund zur Freude: Melati Wijson und Mohamad Al Jounde in einer Schule für syrische Kinder im Libanon.
Grund zur Freude: Melati Wijson und Mohamad Al Jounde in einer Schule für syrische Kinder im Libanon.

Man muss etwas tun, um „unseren Kindern“ eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. Diese Floskel wird des Öfteren bemüht, wenn Entscheiderinnen und Entscheider über Lösungen für globale Krisen wie den Klimawandel sprechen. Meist geht es dabei um langfristige und evolutionäre Ansätze.

Aktiv werden statt auf andere warten

In „Bigger Than Us“ werden diese „Kinder“ selbst aktiv. Sie warten nicht auf kompromisshafte Schritte ihrer Regierungen. Die Aktivistinnen und Aktivisten können und wollen keine weitere Zeit verlieren. Sie legen los und erreichen mitunter revolutionäre Ergebnisse.

Das Unmögliche möglich machen: Diese Unermüdlichkeit stand auch am Anfang dessen, was Melati Wijsen, die zentrale Figur des französischen Dokumentarfilms, geleistet hat. Ihre Heimatinsel Bali ertrank im Müll. Jahrelang sammelte sie mit Unterstützer*innen Abfall an den Stränden. Gleichzeitig machte sie immer wieder Druck auf die Politik, Plastiktüten zu verbieten. Und hatte damit Erfolg. Diesen verkündete Melati Wijsen vor den Vereinten Nationen in New York. Da war sie gerade mal 16 Jahre alt. Heute wird die mittlerweile 21-Jährige die „Greta Thunberg von Bali“ genannt.

Probleme vor der Haustür

Diese Geschichte nahm Regisseurin und Co-Produzentin Flore Vasseur zum Anlass, um junge Menschen auch aus anderen Teilen der Welt vorzustellen, die die Zukunft ihrer Gesellschaft in die Hand nehmen. Gemeinsam mit Melati Wijsen reiste Vasseur zu sieben Aktivist*nnen auf verschiedenen Kontinenten.

Jede dieser Geschichte wäre einen eigenen Film wert. Wie auch bei Melati Wijsen begann es immer damit, dass die Engagierten Missstände in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld zum Besseren wenden wollen. Gerade dadurch machen sie Veränderungen auf viel größerer Ebene möglich und wachsen über sich hinaus.

Wege aus der Hoffnungslosigkeit

Im Libanon traf das Team auf Mohamad Al Jounde. Dorthin floh er als Kind vor dem syrischen Bürgerkrieg. Im Alter von zwölf Jahren gründete der mittlerweile 21-Jährige eine Schule für (andere) syrische Kinder. Damit sie bei all der Hoffnungslosigkeit zumindest Bildung und ein bisschen Würde bekommen.

Wir werden Zeuge eines bahnbrechenden Erfolges in Malawi: In dem afrikanischen Land dürfen seit ein paar Jahren keine Mädchen unter 18 Jahren verheiratet werden. Die entsprechende Änderung der Verfassung hat die heute 25-jährige Melody Bamba erkämpft. Als Kind musste sie erleben, wie ihre Schwester und andere Minderjährige in einem traditionellen „Initiationshaus“ vergewaltigt wurden, um auf ihre Rolle als rechtlose Ehefrau und Mutter vorbereitet zu werden.

Der Film hat visionäre Kraft

Die Zukunft Afrikas ist nicht zuletzt eine Frage von Frauenrechten: Dieser Gedanke zieht sich durch die Gespräche zwischen den beiden jungen Frauen. An dieser Station gewinnt der Film eine besondere visionäre Kraft. Dort und anderswo entlockt Melati Wijsen, ähnlich einer Journalistin, ihren Gesprächspartner*innen die persönlichen Motive ihres Handelns und fördert Dinge zutage, die ihnen dabei im Weg stehen.

Das gilt auch für Rene Silva. Mit elf Jahren gründete er eine Zeitung in einer Favela von Rio. Er und seinen Mitstreiter*innen wollten dem reißerischen Bild, das heimische Mainstreammedien von Menschen aus den Elendsvierteln Brasiliens zeichnen, etwas entgegensetzen. Was der heute 28-Jährige aus seinem Alltag berichtet, zeugt von den düsteren Hypotheken des größten Landes Südamerikas.

Häufig ist Melati Wijsen aber auch einfach nur eine empathische Aktivistin, die Brüdern und Schwestern im Geiste begegnet. Der Wechsel zwischen „Wissen“ und „Herz“ schlägt sich auch in der Bildsprache nieder. Der präzise Fokus auf Menschen und Schauplätze wechselt sich ab mit Nuancen, die die epische und emotionale Dimension dieser Reise um die Welt unterstreichen. Davon profitieren beide Sphären.

Ein schlechtes Gewissen der Zuschauenden

„Bigger Than Us“ kann Zuschauenden, die Krisenherde und oft auf dem einsamen Engagement Einzelner fußenden Gegenbewegungen vom Kinosessel aus verfolgen, durchaus ein schlechtes Gewissen bereiten. Das hat die Regisseurin und Co-Produzentin Flore Vasseur auch gewollt. Auf die Idee für diesen Film – wegen Corona kommt er erst gut drei Jahre nach der Fertigstellung in die Kinos – stieß sie ihr kleiner Sohn. Der wollte von seiner Mutter wissen, was sie tut, um unseren Planeten zu retten. Als Co-Produzentin holte Flore Vasseur Frankreichs gesellschaftspolitisch aktive Filmikone Marion Cotillard ins Boot.

Als die Dreharbeiten 2019 begannen, durchlebte Melati Wijsen nach Jahren des Einsatzes für den Umweltschutz auf Bali einen Burnout. Durch die Trips zu anderen Aktivist*innen fand sie zu ihrem eigenen Aktivismus zurück und wurde mehr denn je Teil eines „Größeren“. Dieser „menschlichen Makel“, den ihr – auch rhetorisch gesehen – allzu makelloses Auftreten im Film überdeckt, macht das Agieren der Protagonistin und die Essenz dieses kraftvollen, aber keinesfalls verklärenden Films umso berührender.

Info: „Bigger Than Us“ (Frankreich 2021), ein Film von Flore Vasseur, Kamera: Christophe Offenstein, mit Melati Wijsen, Mohamad Al Jounde, Memory Banda, Mary Finn u.a., 96 Minuten, OmU.
www.plaionpictures.com
Im Kino

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