Filmtipp „Ballade von der weißen Kuh“: Eine Frau gegen Irans Justiz
Schuld und Verantwortung, aber auch die prekäre Stellung der Frau zählen zu den klassischen Sujets des iranischen Arthouse-Kinos. Hinzu kommt die Zerrissenheit der Gesellschaft zwischen archaischen Rechtsnormen und modernen Konsumwelten. Die besondere Herausforderung dabei ist stets, all diese Dinge zu betrachten, ohne bei der Zensurbehörde anzuecken.
Auch deswegen setzen viele Filmemacher*innen im Mullah-Staat auf subtile Botschaften, Andeutungen und ein besonderes Formbewusstsein. Daraus schöpfen viele Produktionen eine besondere Kraft. All dies gilt auch für das Drama „Ballade von der weißen Kuh“. Darin kommt noch ein anderes Thema zum Tragen, das zunehmend Eingang in das Filmoeuvre Irans findet: die Todesstrafe.
Gleichgültige Bürokratie im islamischen „Gottesstaat“
Heikler könnte ein Gegenstand der Kunst im Iran kaum sein. Auf der Rangliste der Länder, die die Zahl der Hinrichtungen melden, liegt der islamische „Gottesstaat“ immer wieder ganz vorne. Es ist das zentrale Unterdrückungswerkzeug des Regimes. Und damit ein Gegenstand, der erst recht der künstlerischen Reflektion bedarf. Der iranische Filmemacher Mohammad Rasoulof stellte sich dem Wagnis und wurde 2020 für seinen unter konspirativen Bedingungen entstandenen Episodenfilm „Doch das Böse gibt es nicht“ bei der Berlinale ausgezeichnet.
Die „Ballade von der weißen Kuh“ nähert sich diesem Thema aus der Sicht derer, die nach der Vollstreckung des Urteils zurückbleiben. Im Mittelpunkt steht Mina. Ein Jahr nach der Hinrichtung ihres Mannes erfährt sie, dass er unschuldig war. Die Behörden entschuldigen sich und bieten eine Entschädigung an. Das ist ihr nicht genug. Sie will die Verantwortlichen zur Rede stellen. Doch die gleichgültige Bürokratie legt ihr viele Steine in den Weg.
Allein und unterdrückt in Teheran
Derweil begleitet der Film, der 2021 auf der Berlinale lief, Mina durch ihren Alltag in Teheran. Täglich schuftet die alleinerziehende Mutter in einer Milchfabrik, doch das Geld reicht kaum für die Miete. Dass sie die Wohnung ohne weitere Verwandtschaft nur mit ihrer kleinen Tochter Bita teilt und ein selbstbestimmtes Leben führt, ist vielen ein Dorn im Auge. Ihr Schwager, der Bruder, ihres Mannes, möchte sie heiraten und zu sich holen. Der Schwiegervater droht, ihr das Sorgerecht für Bita streitig zu machen.
Minas düstere Tage werden etwas heller, als eines Tages ein Fremder namens Reza vor ihrer Tür steht. Er stellt sich als ein Freund des Verstorbenen vor und will eine finanzielle Schuld begleichen. Reza bringt Minas Leben durcheinander, wendet aber auch einiges zum Guten. Als der Vermieter, verärgert über den „nicht statthaften“ Herrenbesuch, den Mietvertrag kündigt, verschafft Reza Mutter und Tochter eine neue Bleibe. Ohne ihn wäre es schwierig geworden. Als Mina einen Makler aufsucht, wird ihr beschieden: „Niemand vermietet an alleinstehende Frauen. Witwen, Besitzer von Hunden und Katzen und Junkies werden abgelehnt.“
Bloß kein Opfer sein
Gleichwohl lässt wenig auf ein Happy End hoffen. Zwischen Reza und Mina steht ein Geheimnis, das nach und nach gelüftet wird. Reza ist Teil des Justizapparates. Und doch ist er durch den Tod von Minas Mann ebenfalls zu einer Art Opfer geworden. Wird Mina dem Wissen um Rezas wahre Identität ebenso kämpferisch begegnen wie den vielen anderen Herausforderungen ihres Lebens?
Bloß kein Opfer sein: Das schärft Mina ihrer gehörlosen Tochter immer wieder ein. Die meist tieftraurige und erschöpfte, aber deswegen nicht minder selbstbewusste Frau steht symbolisch für zahllose andere Frauen in Iran, die von Behörden, Vermietern oder auch männlichen Verwandten benachteiligt und unterdrückt werden. Zugleich unterstreicht sie die Bedeutung dagegen aufzubegehren.
Unschuldig zum Tode verurteilt
In ihren Träumen erscheint ihr wiederholt eine weiße Kuh. Sie stellt den Schlüssel zum Kern des Films dar. „Eine Kuh ist in religiösen Zeremonien normalerweise ein Opfer“, so die schwedisch-iranische Hauptdarstellerin, Co-Regisseurin und Co-Drehbuchautorin Maryam Moghaddam in einem Interview. „In unserem Film ist die weiße Kuh eine Metapher für einen Unschuldigen, der zum Tode verurteilt wird“. Diese Metapher taucht immer wieder auf, auch in Form der omnipräsenten Milch.
In „Ballade von der weißen Kuh“ verdichten sich viele Widersprüche und Bruchstellen der iranischen Gesellschaft zu einem intensiven Drama. Die meist statischen Bilder mit ihrem präzisen Blick auf die Auftretenden und der ausgeprägten Liebe für architektonische Details schaffen viel Raum für eine Atmosphäre zwischen Resignation, Lakonie und Anspannung, in individueller wie kollektiver Hinsicht. Zudem werden Türen zu kulturellen Sphären aufgestoßen, die dem konservativen Mainstream entgegenstehen.
Getragen wird das Ganze vor allem von Maryam Moghaddam als Mina. Ihr Schicksal steht für die Misere einer Generation im Zeichen der Unfreiheit, lässt aber auch Raum für Hoffnung. Ein wichtiger Beitrag, um die reale Zerrissenheit des Landes mit den Mitteln der Kunst (von innen) zu beleuchten.
Info: „Ballade von der weißen Kuh" („Ghasideyeh Gave Sefid/ Ballad of a white cow“, Iran, Frankreich 2021), Regie: Behtash Sanaeeha, Maryam Moghaddam, Drehbuch: Mehrdad Kouroshniya, Behtash Sanaeeha, Maryam Moghaddam, mit Maryam Moghaddam, Alireza Sanifar, Pourya Rahimisam, Avin Purraoufi u.a.,105 Minuten, FSK ab 12 Jahre. Weltkino.de
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