Kultur

Filmtipp „Auf der Couch in Tunis“: Therapie für ein zerrissenes Land

Eine Psychoanalytikerin aus Frankreich stürzt sich in einen Neuanfang in ihrem Geburtsland Tunesien: Die Komödie „Auf der Couch in Tunis“ erforscht die Seelenlage einer jungen Frau und einer verunsicherten Gesellschaft.
von ohne Autor · 31. Juli 2020
Wieder mal Stress: Selma (Golshifteh Farahani, rechts) im Gespräch mit ihrer Nichte.
Wieder mal Stress: Selma (Golshifteh Farahani, rechts) im Gespräch mit ihrer Nichte.

Eigentlich liegt es auf der Hand: Wenn Menschen eine Diktatur überwinden, bietet sich die Gelegenheit, all die Ängste und Traumata der Vergangenheit hinter sich zu lassen. Zumindest sollte sich endlich frei darüber reden lassen. Gute Zeiten also für Psychotherapeuten, möchte man meinen. Oder etwa doch nicht?

Tatsächlich mutet es wahnwitzig an, dass sich eine Mittdreißigerin aus Frankreich wenige Jahre nach der Revolution in Tunesien dorthin aufmacht, um dort, wo sie geboren wurde, eine Psychonanalyse-Praxis zu eröffnen, sozusagen als Aufbauhilfe. Angesichts der unübersehbaren wirtschaftlichen Misere und der instabilen politischen Situation in ihrem Land, das sich gerade neu erfinden muss, haben die Menschen anderes im Sinn, als sich einer unkonventionellen (weil unverheirateten) jungen Frau anzuvertrauen, die aus ihrer Sicht ohnehin nicht dazugehört. Möchte man jedenfalls meinen.

Tätowierte Exotin in Jeans

Anders als erwartet füllt sich Selmas Sitzungszimmer auf einem Hausdach rasant. Als tätowierte Exotin in Jeans weckt sie nicht nur Argwohn, sondern auch befremdliche Begierden. Ob während der Gespräche mit ihren Patient*innen, bei Streifzügen durch die Stadt oder in den Auseinandersetzungen mit der Familie: Selma taucht tief in die Seele(n) eines zutiefst verunsicherten Landes ein. Dabei kommen einige Skurrilitäten zum Vorschein.

Doch auch außerhalb des kleinen Dachzimmers trifft Selma immer wieder Leute, die mit verschiedensten Zwängen und Ängsten leben. So auch ein sympathischer, aber überaus korrekter Polizeibeamter, der ihrem beruflichen Neuanfang, der auch viel mit der Suche nach ihrer Identität zu tun hat, ungeahnte Steine in den Weg legt. Während all dieser Begegnungen lernt die als Immigrantin verschriene Frau auch einiges über sich. Was sie daraus macht, erschließt sich allerdings nur bedingt. Und doch ist zu spüren, dass es in Selma arbeitet. Wahrscheinlich könnte auch sie ein paar Analyserunden gebrauchen.

Unaufdringlicher, mitunter deftiger Humor

Was auf den ersten Blick wie eine weitere überdrehte Culture-Clash-Komödie aus Frankreich anmutet, hat in Wahrheit ganz andere Facetten zu bieten. Zwar geht Regisseurin und Drehbuchautorin Manele Labidi die nicht eben unkomplizierte Beziehung zwischen der „Heimkehrerin“ und den „Daheimgeblieben“, die Selma als „Französin“ belächeln oder gar anfeinden, mit den Mitteln der Komödie an.

Die Komik wird hier allerdings nicht bis zum Äußersten getrieben. Vielmehr ist sie ein Mittel, um jenseits eines letztendlich bedrückenden Realismus oder auch einer Tragödie von den Verhältnissen einer im Umbruch befindlichen Gesellschaft zu erzählen. Und eben auch von einer Mittelschicht-Familie, die versucht, mittels Pragmatismus ihren Platz in dem neuen System zu finden. Was auch bedeutet, konservative religiöse Traditionen zumindest nach außen hin zu wahren, wenngleich vor allem Selmas vor dem Abitur stehende Nichte eigentlich ganz andere Vorstellungen hat.

Düsteres Gemälde mit lichten, hoffnungsvollen Elementen

Anstatt ständig ein Feuerwerk von Pointen zu starten oder alles und jeden ins Lächerliche zu ziehen, pflegt Labidi einen unaufdringlichen, wenngleich mitunter deftigen Humor, der Raum für ein zumindest um Realismus bemühtes Ambiente lässt. Auch mittels einer von kräftigen, aber keinesfalls dick aufgetragenen Farben lebenden Bildsprache entsteht ein Gemälde mit viel lichten und hoffnungsvollen Elementen, ohne die düsteren zu ignorieren. Das gilt für Selmas persönliche Geschichte wie auch für das große Ganze.

Die Handlung des Films, der bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig gezeigt wurde, hat auch einiges mit Labidis Lebensgeschichte zu tun. Auch sie wuchs als Tochter tunesischer Einwanderer in Paris auf. Auch sie begann, sich nach dem Sturz des Endlos-Herrschers Ben Ali für die Psyche dieses Landes zu interessieren. Und doch hat man nicht den Eindruck, dass dieser persönliche Bezug das Spielfilmdebüt der 38-Jährigen zu sehr dominiert. Dafür sprechen allein die Erzählweise und Ästhetik: Labidi orientierte sich an italienischen Komödien der 60er- und 70er-Jahre, wovon nicht zuletzt auch der Soundtrack zeugt.

Gelassener Erzählstil mit Zwischentönen

Sicherlich hätte die Handlung mehr Dynamik vertragen. Dafür ist es ein Genuss, wie die hervorragenden Schauspieler*innen, allen voran Hauptdarstellerin Golshifteh Farahani (unter anderem bekannt aus Marjane Satrapis „Huhn mit Pflaumen“ von 2012), den äußerst gelassenen Erzählstil nutzen, um ihren Figuren Zwischentöne zu verleihen und – passend zu den unübersichtlichen Verhältnissen – jegliche Eindeutigkeit zu verneinen.

Info: „Auf der Couch in Tunis“ (Frankreich 2019), ein Film von Manele Labidi, mit Golshifteh Farahani, Majd Mastoura, Aïcha Ben Miled, Feriel Chamari u.a., 88 Minuten.

Im Kino

 

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