Kultur

Filmtipp „Alkohol“: Das große Geschäft mit der legalen Droge

Kaum ein anderer Stoff ist für Millionen von Menschen so vertraut wie Alkohol. Der gleichnamige Dokumentarfilm von Andreas Pichler legt die medizinischen und wirtschaftlichen Schattenseiten offen und zeigt politische Lösungen auf.
von ohne Autor · 10. Januar 2020
Im Dokumentarfilm „Alkohol – der globale Rausch“ wirft Andreas Pichler einen kritischen Blick auf das Geschäft mit der legalen Droge.
Im Dokumentarfilm „Alkohol – der globale Rausch“ wirft Andreas Pichler einen kritischen Blick auf das Geschäft mit der legalen Droge.

Für viele gehört Alkohol zum Alltag. So auch für Andreas Pichler. Es muss ja nicht gleich Sucht sein. Doch als der italienische Dokumentarfilmer daran scheiterte, über mehrere Monate hinweg seinen Konsum radikal einzuschränken, begann er sich Fragen zu stellen: Was macht der Alkohol mit uns, insbesondere, seitdem er zum industriellen Massenprodukt geworden und seine religiös-rituelle Verankerung weithin vergessen ist? Und warum scheut sich die Politik, ihn als Droge einzustufen und konsequenter gegen den Missbrauch vorzugehen?

Bezogen auf die Fakten ist Pichlers Film eine einzige Anklage: Rund drei Millionen Menschen sterben pro Jahr an den Folgen des Alkoholkonsums. Die Zahl derer, die süchtig werden, steigt. Derzeit sind es rund um den Erdball rund 140 Millionen Menschen. Doch der 52-Jährige klagt eben nicht an. Vielmehr lässt er während seiner Reise durch mehrere Länder Psycholog*innen und Mediziner*innen erklären, warum Menschen dazu neigen, zum Glas zu greifen und auf welch vielfältige Weise die, wie ein Experte bemerkt, „clevere Droge“ die Neuronen im Gehirn steuert. Neben kulturellen Traditionen werden auch soziale Codes beleuchtet.

Der Weg in die Sucht – persönliche Schicksale

Auch die Folgen eines risikobehafteten Konsums nehmen breiten Raum ein. Betroffene berichten ebenso abgeklärt wie schonungslos, wie sie langsam in die Sucht abglitten und sich später davon befreiten. Einer davon ist der frühere österreichische TV-Journalist Lorenz Gallmetzer. Pichlers gänzlich undidaktischer, sondern besonnener und eindringlicher, aber eben auch auf persönliche Erfahrungen abzielender Erzählstil sorgt dafür, dass der eine oder andere Zuschauende über seinen eigenen Konsum ins Grübeln kommt.

Bezogen auf die wirtschaftliche und politische Seite seines Themas ist der Blick des Grimme-Preisträgers deutlich kritischer. Aber auch hier geht es ihm vor allem darum, Strukturen und Mechanismen zu hinterfragen, zu verstehen und zu erklären. Das Geschäft mit Wein, Bier und Schnaps erreicht schwindelerregende Höhen. Auf 1300 Milliarden US-Dollar wird der globale Jahresumsatz geschätzt. Doch es ist ein Business auf Kosten der Gesundheit. Rein statistisch gesehen trinkt jeder und jede Deutsche zehn Liter reinen Alkohol im Jahr, aus medizinischer Sicht ist dies viel zu viel. Die Folgen davon tragen die Krankenkassen und damit die Allgemeinheit.

Europas Brauereien suchen neue Absatzmärkte

Noch gilt Europa angesichts des tradierten Alkoholgenusses als größte freie Drogenszene der Welt. Doch der alternde Kontinent ist aus Sicht der Brauerei-Riesen längst nicht mehr das Maß aller Dinge Längst haben sie neue Märkte im Blick, insbesondere mit einer wachsenden Bevölkerung, vornehmlich in Afrika. Am Beispiel von Nigeria zeigt sich, was es bedeutet, wenn ein Großkonzern wie Heineken mit rücksichtslosen Methoden in ohnehin instabilen Gesellschaften die Freude am Trinken befeuert. Dabei stechen nicht nur Gesundheitsgefahren ins Auge: Die Art und Weise, junge Nigerianerinnen fürs Marketing einzuspannen, hat den Geschmack von Kolonialismus und Entwürdigung. Dem Image hat all das bislang nicht geschadet.

Doch die Europäer sollten sich an dieser Stelle lieber nicht weit zurücklehnen. Am Beispiel von Großbritannien und Deutschland schildert Pichler, wie Regierungen einknicken, wenn es darum geht, die Folgen insbesondere übermäßigen Alkoholgenusses zu bekämpfen, und sei es nur dadurch, wie von vielen gefordert, die Werbung einzuschränken. Mächtig ist der Einfluss von Lobbyist*innen, er reicht hinein bis in die Parlamente und bis zur EU-Kommission. Doch handelt die Politik nicht zu kurzsichtig, wenn sie vor allem auf sprudelnde Steuern schaut und (scheinbar) unpopuläre Entscheidungen scheut? Das Beispiel Island macht deutlich, wie es besser laufen könnte, auch in Deutschland.

Andreas Pichler: Regisseur und Konsumkritiker

Immer wieder hat Pichler die Schattenseiten des gegenwärtigen Wirtschaftens und Konsumierens thematisiert. In „Das System Milch“ (2017) befasste er sich mit der Intensivierung der Milchwirtschaft. „Alkohol“ will niemandem das Trinken madig machen, zeigt aber sehr wohl die Risiken auf, die unbedachte Konsument*innen auf sich nehmen. Dass sich kaum ein Branchen-Vertreter vor der Kamera äußern wollte, spricht Bände.

„Alkohol – der globale Rausch“ (Deutschland/Italien 2020), ein Film von Andreas Pichler, 89 Minuten. Im Kino

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