Film „The Salesman“: Iranisches Ehedrama im Land der Risse
Mit präzisen Innenansichten der Gesellschaft ist der Regisseur Asghar Farhadi zu einer der wichtigsten künstlerischen Stimmen Irans geworden. 2011 gewann sein Scheidungsdrama „Nader und Simin“ als erster iranischer Film den Goldenen Bären bei der Berlinale, hinzu kam ein Oscar und etliche weitere Preise. Es wurde Irans bis dahin größter Kinoerfolg im Ausland überhaupt.
The Salesman: Brüche und Risse im Gottesstaat Iran
Farhadis Filme erzählen vom Wandel der Moral und von den Brüchen und Rissen, die den Gottesstaat seit der Jahrtausendwende erfassen, zumal im Zeichen einer zaghaften politischen Öffnung unter Präsident Hassan Rohani. Vor allem die gebildete, wenn nicht gar kosmopolitische Mittelschicht der Großstädte erkennt sich in seinen Werken wieder. Gleichzeitig sind die Filme an sich ein Ausdruck wachsender Freiräume.
Auch „The Salesman“ startet unter viel versprechenden Umständen. Die Geschichte eines Ehepaares, das unverhofft in eine Phase totaler Verunsicherung gerät, brach laut Verleih bereits sämtliche Kassenrekorde im Iran und wurde als Kandidat für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert. Aus Protest gegen den von US-Präsident Donald Trump verhängten Einreisestopp für Menschen aus muslimischen Ländern wird Farhadi der Oscar-Gala allerdings fernbleiben.
Was macht Gewalt mit dem Einzelnen?
Politik schwingt in seinem neuen Film eher mittelbar mit. Vielmehr wird erzählt, wie zwei Menschen nach einer Bluttat in den eigenen vier Wänden psychologisch wie moralisch aus dem Ruder laufen. Zwar spielt die – nicht nur, aber auch vom Mullahregime verordnete konservative öffentliche Moral – eine Rolle. Letztendlich geht es aber um die Frage: Was macht Gewalt mit dem Individuum und dessen Wertvorstellungen?
Wie schon in „Nader und Simin“ beeindruckt Farhadis besonderer Blick bei der Rückbesinnung auf grundsätzliche und universelle menschliche Probleme. Eines Nachts müssen Emad und Rana fluchtartig ihre Wohnung verlassen. Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück haben Risse in ihrem Wohnblock hinterlassen. Rasch kommt das junge Ehepaar in einer neuen Bleibe unter. Doch das Leben dort steht unter keinem guten Stern. Ein Zimmer ist verschlossen. Dort hat die mysteriöse Vormieterin Sachen gelagert, holt diese allerdings, anders als vereinbart, nicht ab. Stattdessen verbietet sie den Nachmietern, den Raum zu betreten.
Ärger mit Zensoren im Film
Emad und Rana pfeifen auf die Vorgabe. Überhaupt bewegen sie sich selbstbewusst durchs Leben, nutzen ihre Spielräume im System und führen eine gleichberechtigte Ehe. Beide arbeiten in einer freien Schauspieltruppe mit, die gerade Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ probt. Am Abend nach der Premiere ist Rana allein zuhause. Als es klingelt, öffnet sie die Tür. Doch dort wartet nicht etwa Emad. Als dieser Stunden später eintrifft, ist der Boden mit dem Blut seiner Frau befleckt. Danach ist nichts wie vorher. Die schwer verletzte Rana verschließt sich zunehmend. Emad muss sich neu sortieren. Im Brotjob Lehrer, begegnete er seinen Schülern bislang locker und humorvoll. Nun verfinstert er sich zunehmend. Auch auf der Theaterbühne ist er ein anderer.
Wie Emad und Rana mit der Gewaltnacht umgehen, offenbart dann doch die besondere Situation im Iran und anderen repressiven Systemen. Niemand verständigt die Polizei. Sei es aus Scham oder weil sie den Sicherheitsbehörden misstrauen. Haben sie am Theater nicht schon genug Ärger mit der Zensurbehörde? Auf deren Drängen hin musste das Ensemble einige Stellen im Text streichen. Man kann darin einen Kommentar zu Farhadis Querelen mit den realen Zensoren bei der Fertigstellung dieses Films sehen.
Kann Selbstjustiz eine Lösung sein?
Emad beschließt, auch von der Nachbarin dazu gedrängt, die Sache auf eigene Faust zu klären. Indem er Hinweise über die Vormieterin – offenkundig eine Prostituierte – sammelt, begibt er sich auf die Spur des Mannes, der in jener Nacht seine Frau überfiel. Und schmiedet einen brutalen Racheplan. Dabei kommt nicht nur das Selbstbild des Intellektuellen, der sich von anderen nicht viel sagen lässt und Gewalt verabscheut, sondern auch sein Verhältnis zu Rana ins Wanken: Anstatt endlich eine neue Wohnung zu suchen, übt er sich in Selbstjustiz. Als sich Emad am Ziel wähnt, kommt alles ganz anders.
Mit „The Salesman“ ist Farhadi erneut ein ebenso subtiles wie spannendes Porträt des „privaten“ Iran gelungen. Gleichzeitig stellt er die richtigen Fragen an das große Ganze.
Info: „The Salesman“ („Forushande“, Iran/Frankreich 2016), ein Film von Asghar Farhadi, mit Shahab Hosseini, Taraneh Alidoosti, Babak Karimi u.a., 125 Minuten
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