Film „Me, We“: Wenn Flüchtlingshelfer *innen Hilfe brauchen
Es ist ein ernüchternder, aber ehrlicher Befund: Wer sich für andere Menschen, zumal im Dienst einer guten Sache, einsetzt, kann ein böses Erwachen erleben. Weil man diejenigen, denen man helfen wollte, oder auch die Situation vor Ort in der Realität ganz anders erlebt als man erwartet hatte. Weil die eigene Kraft und Solidarität nicht so groß ist wie erhofft. Und vor allem, weil man womöglich außer Acht gelassen hat, dass die Menschen, denen man Hilfe angedeihen lassen möchte, eigene Vorstellungen davon haben, was gut für sie ist. Einander auf Augenhöhe zu begegnen: oftmals leichter gesagt als getan.
Wenn Helfer*innen an ihre Grenzen stoßen
Man darf davon ausgehen, dass es vielen Freiwilligen, die sich in den vergangenen Jahren für Geflüchtete eingesetzt haben, so ergangen ist. Der Film „Me, We“ gibt dieser zutiefst menschlichen Erfahrung ein Gesicht. Besser gesagt: Gesichter. Anhand von drei Persönlichkeiten erzählt der Film, wie Helferinnen und Helfer aus ganz verschiedenen Gründen an ihre Grenzen stoßen, obwohl sie sich moralisch auf der richtigen Seite sehen. Aber auch diejenigen, die eine ganz andere Moral vertreten, finden breiten Raum.
Zentraler Schauplatz des Films ist das sommerliche, von der Euphorie der Fußball-EM erfüllte Österreich. Petra (Barbara Romaner), eine alleinstehende und polyglotte Frau in den Vierzigern, hat Mohammed bei sich aufgenommen. Mit vollem Elan möchte sie den jungen Mann, der sich als minderjähriger Syrer ausgibt, darauf vorbereiten, sich „gut zu integrieren“. Und merkt lange nicht, wo die Grenze zwischen Engagement und Bevormundung liegt. Eine explosive Situation.
Idealismus ohne Erfüllung
Marie kommt hingegen für lange Zeit gar nicht mit Geflüchteten in Berührung. Dabei ist vom Idealismus beseelte Studentin genau dafür von Wien nach Lesbos gereist. Auf der Insel möchte sie dabei helfen, Migrant*innen aus der Türkei in Empfang zu nehmen. Weil aber gerade niemand die gefährliche Überfahrt wagt, schlägt sie im Willkommenscamp irgendwie die Zeit tot. Auch auf einem Rettungsschiff für Geflüchtete, das nicht auslaufen darf, findet sie zunächst keine Erfüllung. Diese verschafft ihr erst ein Verstoß gegen alle Vorschriften
Gerald dagegen schiebt Dienst in einer von Schließung bedrohten Unterkunft für Asylbewerber*innen. Mitmenschlichkeit, aber auch Korrektheit gehen ihm über alles. Bei Aba, einem traumatisierten Geflüchteten aus Afrika, stößt der Mann, der außer seinem aufreibenden Job nicht viel hat, an seine Grenzen und wirft seine bisherige Ethik über Bord.
Und da wäre noch Marcel. Er ist allerdings keiner dieser Helfenden. Zuwanderung ist für den Halbstarken und seine Kumpels ein Graus. Anstatt Migrant*innen mit Geschenken zu empfangen, gründen sie eine Begleitschutz-Organisation für junge Frauen. Aufgestachelt durch reißerische Medienberichte und rechtslastige Parolen, wittern sie angesichts so vieler „Fremder“ überall Gefahren, nicht zuletzt für das weibliche Geschlecht.
Ein neuer Blickwinkel
Wie gesagt: Der Dienst an anderen ist nicht selten eine Gratwanderung. Das gilt auch für diesen Film. Allein schon wegen des ungewohnten Ansatzes, Geschichten rund um Geflüchtete nicht aus deren Perspektive zu erzählen. Durch den Fokus auf mitunter verunsicherte und unbeholfene Helferinnen und Helfer will Regisseur und Co-Drehbuchautor David Clay Diaz die „Gutmenschen“ aber keinesfalls vorführen. Auch nicht die jugendlichen Skeptiker*innen. Ihm geht es um neue Blickwinkel und eine Horizonterweiterung. Daher nimmt er ihre Intentionen und Sichtweisen zumindest im Rahmen der Erzählung ernst.
Was ihn wiederum nicht daran hindert, Zuspitzungen und Übertreibungen, die auch mal übers Ziel hinausschießen, einzubauen. Immer aber bleibt sein Blick auf die Protagonist*innen äußerst präzise. Dass der Filmemacher mit Wurzeln in Südamerika in seiner neuen Heimat Österreich offenbar selbst reichlich Kulturclash-Erfahrungen gesammelt hat, schwingt oft mit.
Aber auch auf formaler Ebene macht es sich der Film nicht einfach. Im steten Nebeneinander von Sozialstudie und Satire holpert manch ein dramaturgischer Übergang. Umso beeindruckender ist es zu erleben, wie eindringlich agierende Hauptdarsteller*innen wie Verena Altenberger (Marie), Barbara Romaner (Petra) und Lukas Miko (Gerald) Schwächen des Drehbuchs ausbügeln und fast vergessen machen. Kamera und Schnitt sind hierbei ebenfalls verdienstvoll.
Werbung für das Gemeinsame
„Me, We“ – der Titel bezieht sich auf ein improvisiertes Gedichtfragment von Boxlegende Muhammed Ali – wirbt dafür, einander besser zu verstehen und das Gemeinsame zu suchen. Was die Hauptfiguren auf diesem Weg erleben, ist nicht nur wegen der ungewohnten Perspektive auf das Thema Migration äußerst sehenswert.