Kultur

Film „The End Of Meat“: Schöne neue Veganer-Welt

Sollten wir auf Fleisch verzichten, um unsere Gesundheit, aber auch die Welt zu retten? Der Dokumentarfilm „The End Of Meat“ feiert den Veganismus und ignoriert dessen innere Widersprüche. So ist er eher ein unkritisches Pamphlet als eine realitätsnahe Dokumentation. Schade.
von ohne Autor · 15. September 2017
Film „The End of Meat“
Film „The End of Meat“

Wenn Hilal Sezgin die Nähe ihrer Lieben sucht, geht sie auf die Schafkoppel. Dort knuddelt sie einige der 40 Vierbeiner, die auf dem Gnadenhof der Schriftstellerin und Tierrechtsaktivistin bei Lüneburg leben. Sollten es nicht alle sogenannten Nutztiere auf der Welt so gut haben wie diese Schafe? Anstatt Fleisch, Milch und Wolle zu liefern, einfach nur fröhlich vor sich hin leben? Eine Existenz frei von jeder Ausbeutung, wie sie sich viele Menschen auch für sich selbst erträumen? Das ist die Botschaft dieser Bilder aus dem Idyll im Niedersächsischen. Sie stehen für eine Utopie. So wie auch der gesamte Film mehr mit fernen Utopien als mit der nahen Zukunft zu tun hat.

Menschheit ohne Fleischverzehr?

Kann es eine Welt ohne Fleisch geben? Diese Frage steht nicht erst seit dem Boom veganer Lebensmittel in Westeuropa und Nordamerika im Raum. Rinderwahnsinn, Gammelfleischskandale und Berichte über die unwürdigen Bedingungen der Massentierhaltung und in Schlachthöfen haben dafür gesorgt, dass Fleisch in weiten Teilen der Bevölkerung mehr als nur ein Imageproblem hat. Das Symbol des Wohlstands – nicht nur, aber gerade in Deutschland – hat mächtig an Strahlkraft verloren. Auch, weil immer mehr über die Gesundheitsrisiken übermäßigen Fleischkonsums bekannt geworden ist. Aber sollte die Menschheit deswegen aufhören, Schweine, Rinder und Geflügel zu verspeisen?

Ja, sagt der Filmemacher Marc Pierschel. Vor allem dann, wenn wir die Erde retten wollen. Es ist nicht seine erste Arbeit auf diesem Gebiet. Der 39-Jährige hat bereits einen Ratgeber für Veganer geschrieben und begleitete Tierschützer im Einsatz gegen Walfänger oder in Legebatterien mit der Kamera.

Beunruhigende Zahlen

Ein Drittel des weltweiten Trinkwassers verbrauchend, 18 Prozent der Treibhausgase in die Luft pustend, 70 Prozent des Regenwaldes im Amazonasgebiet bereits zerstört und knapp die Hälfte der Erdoberfläche mit Weideflächen und Ställen belegt: Pierschel fährt beunruhigendes Zahlenmaterial auf, um die bedenklichen Folgen der weltweiten Nachfrage für Steaks und Hamburger auszumalen.

Ein Augenzeuge berichtet über die Zustände in einem amerikanischen Schlachthof. Alles gute Gründe, die den Boden für Wissenschaftler und Tierschützer bereiten, die ziemlich logisch und anschaulich erklären, warum eine Welt, in der Menschen mit Tieren leben, anstatt sie erst zu quälen und dann zu verspeisen, eine bessere wäre. Ein Besuch in der ersten vegetarischen Stadt Indiens zeigt allerdings die Schwierigkeiten auf, solche Utopien nicht nur zu verkünden, sondern auch durchzusetzen.

Kaum Zwischentöne und Kritik

Überhaupt hat der Film einige Probleme mit dem Realitätscheck. „The End Of Meat“ ist eher ein – immerhin sehr gut recherchiertes und unterhaltsames – Pamphlet einer veganen Vision als eine Dokumentation im engeren Sinne. Diese würde nach Zwischentönen suchen und auch die Strategien der Fleischlosen-Lobby kritisch hinterfragen. Dann hätte Pierschel den Betreiber einer veganen Supermarktkette in Berlin nicht nur über irres Wachstum und dicke Profite jubeln lassen, sondern auch die Frage aufgeworfen, inwiefern vegane Lebensmittel umweltschonend erzeugt werden.

Allein der Sojaanbau, ohne den es kein Tofu geben würde, schluckt riesige (Regenwald-)Flächen in Südostasien und Brasilien, ganz zu schweigen von den langen Transportwegen. Vegan heißt eben nicht automatisch Bio oder „nachhaltig“. Apropos: Was ist eigentlich mit biologischer Fleischerzeugung?

Fleisch ohne Schlachten

Zu den interessantesten Episoden zählt ein Besuch in der Universität Maastricht. Dort entwickelt ein Forscher ein Verfahren, Fleisch herzustellen, ohne Tiere zu töten. Kühen werden Zellen entnommen, um daraus Fleisch zu kultivieren. Anschließend wandern die Zelle zurück in die Kuh. Dass sich das aufwendige Verfahren eines Tages durchsetzen wird, ist indes kaum zu erwarten.

Wer eine geballte Ladung an Argumenten dafür bekommen möchte, am besten gleich morgen Schnitzel und Wurst abzuschwören, wird diesen Film mögen. Andere könnten sich daran stören, dass all die durchaus sympathischen Zukunftsentwürfe absolut unkritisch betrachtet werden. Deren Glaubwürdigkeit erhöht das nicht. Immerhin bleiben interessante Denkanstöße. Man tut Pierschel sicherlich kein unrecht, wenn man ihm vorhält, sich längst in einer Grauzone zwischen Filmemacher und Aktivist zu bewegen.

 

Info: „The End Of Meat“ (Deutschland 2017), ein Film von Marc Pierschel, 96 Minuten, OmU

 

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