Film „1001 Nights apart“: So tanzt der „andere“ Iran im Keller
Filmpunkt
Vieles, was anderswo als selbstverständlich betrachtet wird, ist im Iran verboten. Zum Beispiel das Tanzen. Und auch nur, dieses Wort überhaupt in den Mund zu nehmen. Wer dagegen verstößt, riskiert eine Gefängnisstrafe oder Schlimmeres.
Seit der Islamischen Revolution von 1979 gilt Tanzen im Iran als unislamisch. Und das in einem Land, das gerade auf diesem Gebiet eine reiche Tradition aufweist. Das Nationalballett genoss hohes Ansehen. 1979 wurde es aufgelöst. Seine Mitglieder gingen ins Exil.
Doch es gibt Menschen, die sich diesem Dogma widersetzen. In einem Teheraner Keller kommen junge Männer und Frauen zusammen, die allerdings einen ganz eigenen Weg zum Tanz suchen als die einstigen Stars. Zum Zeitpunkt von Khomeinis Umsturz waren sie nicht mal geboren.
Bewegungen als Ausdruck von Feminismus
Und doch haben sie all das verinnerlicht, was die Menschen in dem „Gottesstaat“ seit mehr als 40 Jahren durchmachen. Beim Tanzen geht es ihnen weniger um eine künstlerische Illusion, sondern darum, ihre Traumata und Sehnsüchte, aber auch ihre Vorstellungen von Religion, Sexualität und Feminismus zu erforschen und in Bewegungen zu übersetzen.
Die iranische Regisseurin Sarvnaz Alambeigi hat diese Tänzerinnen und Tänzer bei ihren gemeinsamen Übungen begleitet. Sie zeigt, wie eine neue Generation von Künstler*innen Formen des Tanzes entwickelt, die weder ästhetisch noch inhaltlich an das tänzerische Erbe ihres Landes anknüpfen.
Manche Darbietungen, die an Fragmente einer Tanz-Performance erinnern, verstören. Doch immer ist das tiefe Bedürfnis zu spüren, sich auf diese Art auszudrücken. Und auch die Klarheit darüber, sich dadurch größter Gefahr auszusetzen. „Mehr als alles andere möchte ich einfach nur ich selbst sein“, sagt ein Tänzer.
Früheres Nationalballett als fremde Welt
Der Film schlägt aber auch einen Bogen in die Vergangenheit. Und er versucht, diese mit der Gegenwart zu verbinden. Per Zufall entdeckte Alambeigi Filmaufnahmen des ehemaligen Nationalballetts und führte sie in dem klandestinen Tanzstudio vor. So entstand die Idee, die alte und die neue Generation iranischer Tänzer*innen zusammenzubringen.
Doch das Vorhaben stößt auf beiden Seiten auf überraschende Vorbehalte. Mit großen Augen verfolgen die Tänzer*nnen von heute die Schwarz-Weiß-Bilder von dem Ballett. Als es um die Planung gemeinsamer Aktivitäten mit den Altvorderen geht, winken viele ab. Zu fremd ist ihnen offenbar diese vergangene künstlerische Welt.
Aber auch einige der zu Schah-Zeiten gefeierten Bühnenstars sind skeptisch. „Niemand tanzt im Iran“, konstatiert Nemad Ahmadzadeh, einer von vielen Gesprächspartner*innen der Regisseurin. Mit seiner Frau Haideh Ahmadzadeh, Irans erster Primaballerina, hatte er das Nationalballett einst gegründet. Mit den Vorstellungen des Teheraner „Kellerballetts“ konnte das mittlerweile verstorbene Paar offenbar wenig anfangen. Und doch enthalten ihre Einlassungen viel Berührendes.
Das gilt auch für die Interviews mit einer früheren Bühnenbildnerin und einem Grafiker, der einst die Programmplakate des Balletts entwarf. Es ist bedrückend und rührend zugleich, wie sie diese verlorene kulturelle Sphäre in Worten und Objekten wiederauferstehen lassen.
Einzig der Kontakt zu Behrooz Vasseghi verheißt nachhaltige Effekte für die angedachte Kooperation. Der einstige Startänzer arbeitet heute beim Scapino Ballett in Rotterdam. Die Teheraner Gruppe fasst einen kühnen Plan: eine gemeinsame Reise zu Ballettproben mit Vasseghi. Doch während der über mehrere Jahre verteilten Dreharbeiten spitzen sich die Beziehungen zwischen Iran und dem Westen erneut zu. Der Traum vom Tanz in einer angstfreien Umgebung in den Niederlanden droht zu platzen.
„Kellerballett“ mit hohem Risiko
Unter welchen Umständen ist ein Film entstanden? Diese Frage schwingt bei iranischen Produktionen, die Tabuthemen berühren, immer mit. Indem sich die geheime Tanztruppe vor der Kamera zeigt, geht sie ein hohes Risiko ein. Der Gedanke daran lässt sich schwer ausblenden, wenn man verfolgt, wie diese Menschen miteinander arbeiten und diskutieren. Natürlich ist dieser Umstand den Protagonist*innen umso bewusster. Das erklärt, warum sich einige darüber beschweren, Teil eines Filmprojektes zu sein und vermuten, die Regisseurin wolle sie nur ausnutzen.
Letztere Bewertung hat allerdings keine Grundlage, selbst wenn beim Betrachten des Films aus den genannten Gründen ein gewisses Unbehagen bleibt und man sich vor Augen führt, Zeuge einer gefährlichen Gratwanderung zu sein. Am Ende überwiegt die Faszination darüber – ähnlich wie in dem Dokumentarfilm „Raving Iran“ über die illegale Elektroszene – Zugang zu einer verschlossenen Welt zu bekommen, die für einen „anderen“ Iran steht.
„1001 Nights Apart“ (Deutschland/ Iran/ USA 2021), ein Film von Sarvnaz Alambeigi, ca. 80 Minuten, Original mit Untertitel. Im Kino.