Kultur

„Félicité“: Musikalische Kraft gegen den brutalen Alltag

Welche Zukunft hat eine Gesellschaft, in der jeder für sich selbst kämpft? Das Drama „Félicité“, das in diesem Jahr den Silbernen Bären bei der Berlinale gewann, wirft einen ungeschönten Blick auf Afrika. Vieles davon erscheint vertraut, doch die Geschichte über eine Überlebenskünstlerin im Kongo überrascht.
von ohne Autor · 6. Oktober 2017
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Armut und Verrohung sind allgegenwärtig, werden aber subtil mit einem Erzählfluss verquickt, der nicht zuletzt dem Rhythmus der Musik folgt. Musik ist hier ein Ort der Zuflucht, um die Schrecken und Erschwernisse des Alltags zu überwinden, sozusagen bei sich selbst zu sein.

Alleinerziehende Mutter und Barsängerin

Denn das tägliche Leben ist alles andere als erbaulich: Im Kongo ist jeder auf sich allein gestellt. Das ist nicht nur bittere Realität, so steht es sogar in der Verfassung. Ein erschreckendes Zeugnis von Ignoranz oder Verachtung eines Regimes gegenüber seinem Volk. Nicht nur weit draußen auf dem Land, sondern auch in der Millionenmetropole Kinshasa, dem Sehnsuchtsort so vieler Landflüchtiger. Eine Stadt, deren Infrastruktur unter dem Bevölkerungswachstum längst zusammengebrochen ist. Es ist die Welt von Félicité. Täglich stapft die alleinerziehende Mutter über die staubige Slum-Piste zur Arbeit. Und zwar erhobenen Hauptes. Schließlich schafft sie es irgendwie, ihren Sohn und sich als Barsängerin durchzubringen. Andere um etwas zu bitten, widert sie an.

Wenn Félicité nach Sonnenuntergang in ihrem ebenso rauen wie hypnotischen Gesang aufgeht, vergisst sie das Chaos außerhalb der Kneipe. Auch die Gäste macht der von Endlos-Rhythmen getragene Sound trunken, überhaupt wirkt die bei Tageslicht so triste Welt wie verwandelt, wenn auch nur zum Schein. Auch die schummrig-karge Bar ist ein Sehnsuchtsort. Doch in den Gesprächen der Gäste bleibt das echte Leben stets präsent. Deren Satzfetzen rauben einem gleich zu Beginn jegliche Illusionen.

Allein ihr Ding machen

„Sie fürchtet seine Schläge“, raunt eine Frau über eine andere. „Eine schlimme Vergewaltigung, sogar Kleinkinder“, berichtet eine Besucherin aus eine Dorf. Und wieder eine andere fragt: „Wie findest Du meinen Diamentenring?“ Dazu lassen Félicités Begleitmusiker, die übrigens aus der prominenten kongolesischen Band Kasai Allstars rekrutiert wurden, einen steten Strom an satten Klangfarben fließen. Nicht nur während des kräftezehrenden Lebens am Tage, auch hier ist Félicité fest entschlossen, allein ihr Ding zu machen und sich mit anderen nicht übermäßig zu beschäftigen. Das kommt auch in den traumwandlerischen Bildern zum Ausdruck, die die nicht mehr ganz junge Frau bei einsamen Wanderungen im Wald zeigen. Deren Wirkung unterstreichen musikalische Sequenzen vom Symphonieorchester der Kimbangisten, das lange Zeit das einzige Symphonieorchester Zentralafrikas und bereits Thema eines Dokumentarfilms war.

„Es kam mir so vor, als ob diese Figuren, die von keiner Struktur unterstützt werden, fast die Kraft von mythologischen Figuren haben“, sagt der französisch-senegalesische Regisseur Alain Gomis. „Auf sich selbst gestellt, ohne einen Puffer um sich herum. Ich hatte Charaktere, die nackt waren und aus dieser Nacktheit resultierte eine seltene Stärke.“ Das gilt vor allem für „Felicité“. Sie ist sowohl Heldin als auch der Mittelpunkt einer Passionsgeschichte, die einsetzt, als ihr auf Unabhängigkeit beruhendes Lebensmodell vor dem Aus steht. Ihr Sohn ist mit dem Motorrad verunglückt und muss dringend operiert werden, ansonsten verliert er sein Bein. Vorher muss seine Mutter dem Krankenhaus allerdings eine astronomische Geldsumme zahlen. Nun klappert sie Freunde, ihren Ex und ihre Mutter ab, um das Geld aufzutreiben. Auch ein Besuch im Reichenviertel schreckt sie nicht ab.

Reise durch verscheidene Lebenswelten

Sie tut das nicht als Bittstellerin, sonder mit der Überzeugung, sich das zu holen, was ihr zusteht. Es ist eine verstörende Reise durch die Lebenswelten extrem armer und wohlhabender Schichten, durch menschliche Abgründe. Man ahnt, dass Félicités Plan unter keinem guten Stern steht. Sie fällt in ein tiefes Loch, sogar ihre Stimme versagt. Doch zugleich öffnet sich eine Tür, künftig nicht mehr als Einzelkämpferin mit Kind, sondern als Familie durchs Leben zu gehen. Wenngleich der Mann, der diese Chance offenbart, alles andere als ein Säulenheiliger ist. Wie sich Felicité und Tabu einander nähern, gehört zu den berührendsten Beschreibungen zwischenmenschlicher Dinge überhaupt. Zugleich zeigt sich darin ein Stückchen Hoffnung in düsteren Zeiten.Und ein spannendes Spiel mit den Erwartungen der Zuschauer.
 

Info: „Félicité“ ( Frankreich/ Senegal/ Belgien/ Deutschland/ Libanon 2017), ein Film von Alain Gomis, mit Véro Tshanda Beya, Gaetan Claudia, Papi Mpaka u.a., 123 Minuten, OmU

 

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