Und es war Scheidemann, den die Nationalversammlung in Weimar im Februar 1919 zum ersten Regierungschef der Republik wählte. Dieses Amt gab er allerdings schon im Juni 1919 auf, weil er dem
Versailler Vertrag nicht zustimmen wollte. Ende 1919 zog er sich auch aus der SPD-Spitze zurück, um sich als Oberbürgermeister von Kassel der Kommunalpolitik zu widmen.
Bei der politischen Rechten war Scheidemann verhasst wie kaum ein Zweiter. Im Juni 1922 entging er nur knapp einem Attentat. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten im Januar 1933
musste er erst recht um sein Leben fürchten. Ende Februar 1933 flüchtete er ins Exil; über Salzburg, Karlsbad, Prag führte ihn der Weg schließlich im August 1934 nach Kopenhagen. Hier starb er im
August 1939.
In den Jahren des Exils schrieb Scheidemann mehrere Manuskripte. Nach seinem Tode versteckte seine Tochter den Nachlass, um ihn vor den Nazis zu retten. Nach dem Krieg wurde er wieder
hervorgeholt und in einem Kopenhagener Archiv aufbewahrt. Scheidemanns Nachlass und seine Exilschriften wurden erst spät und lediglich ungenügend publiziert. Mit Christian Gellineks Studie
gelingt nun eine Auswertung dieser Dokumente.
Scheidemanns Prognosen. Ein Rücklick in die Zukunft
Besonders eindrucksvoll ist bei der Lektüre der Schriften Scheidemanns Prognose aus dem Jahre 1937, dass Hitlers Politik zu einem totalen Krieg führen würde. Die Kriegsgefahren seien für
Europa größer als je zuvor. Eindringlich plädierte er dafür, die Ankündigungen Hitlers auf zahllosen öffentlichen Versammlungen ernst zu nehmen, insbesondere im Hinblick auf die angekündigten
außenpolitischen Schritte. Bereits im nationalsozialistischen Programmbuch "Mein Kampf" sind alle Expansionsziele enthalten, so Scheidemann.
Scheidemann erinnerte die westliche Staatenwelt daran, dass es in der Diktatur Deutschland keine öffentliche Meinung gibt. Mit Hitler dürfe der Westen keine Verträge schließen, denn er
würde sich ohnehin nicht daran halten. Vielmehr komme es darauf an, die Kräfte für einen starken Widerstand zu sammeln. Dies alles waren hellsichtige Worte des deutschen Sozialdemokraten, die
aber damals wohl kaum auf größere Resonanz gestoßen
Die von Prof. Dr. Christian Gellinek erneut untersuchten Exilschriften Scheidemanns sind ohne Zweifel eine wichtige historische Quelle, die helfen, die Geschichte exakter zu gestalten.
Stefan Campen
Christina Gellinek: Philipp Scheidemann. Gedächtnis und Erinnerung. Waxmann Verlag. Münster 2006, 144 Seiten. 14,90 Euro ISBN 3-8309-1695-7