Sie sind halbe Kinder und unfertige Machos, die Helden der acht Geschichten in Emrah Serbes Erzählband „junge verlierer“. Der Istanbuler Schriftsteller, geboren 1981, erzählt vom Erwachsenwerden und von politischen Konflikten – mal urkomisch, mal bitter, immer lesenswert.
In der Erzählung „Über mir wohnt ein Terrorist“ beklagt ein Junge, dass sein Bruder gerade 20 Jahre alt war, als er nahe der irakischen Grenze auf eine Mine trat und „fürs Vaterland fiel“. Seit diesem Tag sinnt Nurettin auf Rache. Die Gelegenheit dafür scheint ihm gekommen, als ein junges Pärchen in das Wohnhaus einzieht, in dem auch seine Familie lebt. Warum gerade die beiden? Sie „sprachen in einer Lautstärke, dass es jeder hören konnte, kurdisch und schwächten damit die Einheit unseres Staates“.
Große Politik auf kleiner Bühne
So sucht der Junge die „Grauen Wölfe“ auf und bittet bei den rechtsextremen Nationalisten um Hilfe. Gegen die jungen Kurden hetzt er mit der reichlich absurden Bemerkung, es hätten „sogar die Indianer in Amerika anerkannt, dass sie von den Türken abstammen“. So behandelt Serbes große politische Themen in seinen Geschichten, ohne dabei belehrend zu sein. Der Autor, der, seit er sich im Sommer 2013 an den Gezi-Protesten beteiligt hat, als „Schriftsteller und Stimme des Volkes“ gilt, setzt eher auf Komik.
Etwa, wenn er in einer seiner Erzählungen die erste studentische Demonstration 1981 beschreibt: „sechsundzwanzig Studentinnen und Studenten, zwei Kurden und ein türkischer Nationalist, sechzig Sondereinsatzkommandopolizisten, zwanzig Wachleute vom privaten Sicherheitsdienst“ und ein paar Dutzend gewaltbereiter Einzelhändler kamen zusammen. Erst die hohe Zahl von Ordnungskräften macht den Protest zu einer größeren Menschenansammlung. Doch über die Jahre sind aus den zwei Dutzend Demonstranten Tausende und Zehntausende geworden.
Machosprüche und couragierte Omas
Zahlreiche Geschichten kreisen um beginnende sexuelle Wünsche und Erfahrungen. Da will ein 14-Jähriger seinem elf Jahre älteren Bruder dessen Freundin ausspannen. Seine Sprüche und plumpen Annäherungsversuche bringen die Angebetete genau wie die Leser zum Lachen. Erfolg hat der junge Don Juan keinen: „Sie griff nach meiner Hand und zog sie von ihrem Bein ab, als handele es sich um einen Blutegel, und legte sie auf den Tisch.“
In „Omas erster Tod“ lernen wir eine Großmutter kennen, deren couragiertes Handeln ihrem Enkel imponiert: „Einmal hat sie sogar einem Markthändler eine faule Tomate ins Gesicht geworfen. Eine Frau, die in unserer heutigen Zeit einem Markthändler, der bestimmt ein Psychopath ist und auf jeden Fall ein Messer hat, Tomaten ins Gesicht wirft, hätte sich zur Zeit des alten Rom doch ganz bestimmt der Armee des Spartacus angeschlossen. Jeder Mensch, der den Spartacus-Film mit Kirk Douglas gesehen hat und in seinem Leben schon mal auf einem türkischen Markt war, wird mir recht geben.“
Manchmal tragisch, selten weinerlich, überraschend ernst und oft sehr komisch klingen die Stimmen der Jungen und Jugendlichen. Türkisch für Anfänger, aber ohne Gefühlsduselei und falsche Freundschaft. Und in einem Zug oder in zwei Zügen zu lesen.
Emrah Serbes: „junge verlierer“, Verlag binooki, Berlin 2014, 167 Seiten, ISBN 978-3-943562-32-3, 16,90 Euro
Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.