Warum steckt Europa tief in der Krise? Hohe Arbeitslosigkeit trotz hohem Wohlstand. Auch hier fragt sich der Laie: Wie geht das? Wissen wir eigentlich genug, um zu verstehen, was in den letzten 20 Jahren Europa so auf den Kopf gestellt hat? Andreas Wirschings Buch „Der Preis der Freiheit“ gibt Antworten.
Wer dieses Buch liest, weiß am Ende der Lektüre: Vieles ist in Europa ganz anders gelaufen, als erhofft. Wirschings Buch ist die erste sehr tief gehende Analyse der Geschichte Europas seit 30 Jahren. Sehr behutsam und genau geht Andreas Wirsching mit der „Globalisierung“ um. Kritiker an den jetzigen Zuständen benutzten den Begriff allzu gern als Schlagwort für die Misere, in der sich Europa heute befindet.
Wirsching schreibt: „Es entstand überall eine ‚neoliberale’ Sprache, die sich je länger desto mehr zu einer Art neuer Modernisierungsideologie verfestigte. Ihre Schlüsselbegriffe, die den Diskurs um die sozialen und arbeitsmarkt-spezifischen Folgen der Globalisierung international prägten, lauteten ‚Wissensgesellschaft’, ‚Bildung’ und ‚Flexibilität’.“
Diese Schlüsselbegriffe seien das Credo der Moderne. An ihrem Wesen sollte Europa (und die Welt) genesen. Wirsching zeigt auf, dass dieser Weg nicht richtig ist. Die Krise, die wir heute beklagen, sei eine Folge der Verbindung von Politik und neoliberaler Wirtschaftsideologie. Daran hätte sich die Politik sämtlicher EU-Staaten und jene der EU ausgerichtet.
Postindustrielle Reservearmee
Wirsching schreibt: „ Aber die weitverbreitete Auffassung, die Produktivität Arbeit werde von der neuen Produktivität Wissen abgelöst, traf den Kern nicht. .. Und wenn diese Arbeitskraft zugleich flexibel, hochmobil, leicht zu rekrutieren und ebenso leicht wieder zu entlassen war, so glich sie tatsächlich einer Art postindustrieller Reservearmee.“ Heute verbringen junge Akademiker ihre Arbeitszeit als schlecht bezahlte Praktikanten. In vielen EU-Ländern haben wir bis zu 30 Prozent Jugend Arbeitslosigkeit. Dieses Buch beschreibt die Ursachen.
Europäische Geschichte seit 1989 ist eine Umbruch-Geschichte sowohl politisch wie soziologisch wie ökonomisch. Empfehlungen zur Wende enthält es nur wenige. Da heißt es etwa: „Die Werkzeuge liegen bereit, ihre Anwendung wird gefordert.“ Es ist ein Geschichtsbuch. Und die Fakten, die hier gebündelt vor uns liegen, zeigen uns warum der neoliberale Kurs eine der Hauptursachen war. Die Politik sollte aus den Fehlern der Vergangenheit Lehren für die Zukunft ziehen.
Der reine ökonomische Kurs führt allein nicht zum Ziel. Es braucht eine stärkere soziale Ausrichtung. Das ist die Herausforderung auch und insbesondere für die sozialdemokratischen Parteien in Europa. Denn Europa ist noch lange nicht am Ende. Andreas Wirsching schreibt: „Die Krise Europas besteht in seinem Zusammenwachsen.“ Denn „Widersprüche und Inkonsequenzen sind fester Bestandteil der europäischen Geschichte nach 1945 – und nach 1990 ganz besonders.“ Wirsching sollte zur Pflichtlektüre werden.
Andreas Wirsching: „Der Preis der Freiheit. Geschichte Europas in unserer Zeit“, C.H. Beck Verlag, München 2012, 487 Seiten, 26,95 Euro, ISBN 978-3-406-63252-5