"Es mangelt den Westlern daran, die Vielfalt Afrikas anzuerkennen"
Ramon Schack:
Frau Kahiu, am 7. August 1998 wurde ihre Heimatstadt Nairobi von einem fürchterlichen Anschlag heimgesucht.
Die Attentate auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam zählen zu den schlimmsten Anschlägen auf dem Afrikanischen Kontinent.
Wie haben Sie persönlich den 7. August 1998 erlebt?
Wanuri Kahiu:
Ich war zum Zeitpunkt der Anschläge 18 Jahre alt. Ich hielt mich in meinem Elternhaus auf, weit weg von dem Ort des Geschehens im Zentrum Nairobis.
Trotzdem bekam ich die Auswirkungen der Anschläge zu spüren. Meine Mutter ist Ärztin und versorgte die Verletzten. Wir wurden zu Blutspenden aufgerufen. Eine Bekannte kam ums
Leben. Rückblickend würde ich sagen, an diesem Tag wurde ich schlagartig erwachsen.
Welche unmittelbaren Folgen hatte dieser Anschlag für die Gesellschaft Kenias?
Die Folgen waren ähnlich, wie 9/11 für die USA. Das Attentat kam völlig unerwartet, ohne Vorwarnung. Uns Kenianern wurde urplötzlich unsere geopolitische Lage bewußt, als Brücke zwischen Afrika und der Arabischen Welt, sowie als enger Verbündeter des Westens und der USA. In den ersten Stunden und Tagen nach dem Anschlag kam es in Kenia zu einer Welle der Solidarität, ethnische Differenzen und Stammesunterschiede spielten plötzlich keine Rolle mehr. Leider hielt diese Tendenz nicht lange an.
Kam es nicht zu islamfeindlichen Ausschreitungen als Folge des Massakers?
Somalische Einwanderer bekamen plötzlich Misstrauen zu spüren, weniger muslimische Kenianer aus Mombasa oder der Küstenregion beispielsweise. Zu antiislamischen Ausschreitungen kam es aber nicht.
Sind die Auswirkungen heute, 13 Jahre später , noch spürbar?
Sicherlich. Seitdem wurde die öffentliche Sicherheit in Kenia verstärkt. Die US-Botschaft, vor 1998 nahezu frei zugänglich, ist heute eine hermetisch abgeriegelte Festung im Herzen Nairobis. Strategien gegen den globalen Terrorismus werden permanent diskutiert, unter besonderer Berücksichtigung der geographischen Lage Kenias mit Blick auf unsere Nachbarstaaten Somalia und die Komoren beispielsweise.
In Ihrem 2008 fertig gestellten Film " From a Whisper" erforschen Sie die Auswirkungen dieses Anschlages. Basiert das Geschehen in dem Film auf Ihren Recherchen oder haben Sie sich auch dramatischer Elemente in der Erzählung bedient?
Der Film basiert auf tatsächlichen Geschehnissen. Allerdings sind die Menschen, die Charaktere und die Situationen alle frei erfunden. Wie in jeder Geschichte schmückt der Autor die Wahrheit etwas aus, um eine genregerechte Dramatik zu erzeugen . Die Ergebnisse jahrelanger Recherchen fließen unmittelbar in den Film ein. Wie beispielsweise die Aussage jener Frau, die ihren Ehemann bei den Anschlägen verloren hat und sich bis heute nicht davon erholen konnte und sagt: "An diesem Tag vergaß ich dem Leben zu vertrauen".
Im Westen wurde nach 9/11 die These hoffähig, es handele sich um einen Konflikt der Islamischen Welt mit dem Westen. Was halten Sie von der These?
Das ist Unsinn. Die meisten Opfer dschihadistischen Terrors sind überwiegend Muslime. Der Westen hat bisweilen eine eingeschränkte Sicht auf das Weltgeschehen. Viel eher handelt es sich um eine Kriegserklärung einer kleinen radikalen Sekte an die ganze Welt . Allerdings werden die Ursachen nur oberflächlich erforscht .
Sie sprachen gerade von einer eingeschränkten Sichtweise des Westens. Spüren sie diese auch als junge, afrikanische Filmemacherin, wenn Sie in den Westen reisen?
Bedauerlicherweise ja. Neulich in Amsterdam baten mir einige Intellektuelle Hilfe an, indem Sie mir Asyl in den Niederlanden gewähren wollten. Als ich dankend verneinte, wurde ich angeschaut, als hätte ich einen Hauptgewinn in der Lotterie ausgeschlagen. Das Afrika-Bild des Westens wird ja medial überwiegend von hungernden Kindern geprägt, denen Fliegen in die Augen krabbeln. Um nicht missverstanden zu werden: dieses Elend existiert natürlich in Teilen Afrikas, es ist aber nicht das ganze Bild. Afrika ist ein riesiger Kontinent, von unglaublicher ethnischer, kultureller und geographischer Diversität. Wenn ich von Kenia nach West-Afrika reise, nach Ghana oder Kamerun beispielsweise, fühle ich mich wie auf einem anderen Planeten. Es mangelt den meisten Westlern daran, die Größe und Vielfalt Afrikas anzuerkennen.
Wie schwer ist es, eine Filmemacherin in Kenia zu sein?
Einfach ist es nicht. Als Filmemacherin gelte ich nur im Ausland. Im Westen bin ich weit bekannter als in Kenia. Der Beruf des Filmemachers gilt in Kenia immer noch nicht als anerkannte Kunstform. Eine unabhängige Filmindustrie ist dort erst im Enstehen, kämpft mit vielen Schwierigkeiten, unter anderem mit der staatlichen Zensurbehörde, ist aber trotzdem kulturell sehr produktiv. Langfristig werden die Dinge sich aber zum Positiven wenden, da bin ich sicher.
Im Westen registriert man den wachsenden Einfluss Chinas in Afrika. Wie nehmen Sie diese Entwicklung in Kenia wahr?
Der chinesische Einfluss in Kenia ist enorm und wächst beständig. Ich betrachte diese Entwicklung mit großer Sorge, wie inzwischen auch viele meiner Landsleute. Anfangs kamen die Chinesen als willkommene Investoren, inzwischen wächst die Abhängigkeit. Neulich las ich in der Zeitung, dass unter Artenschutz stehende Tiere aus unseren Nationalparks als Gegenleistung für die Investionen Pekings nach China exportiert werden . Das hat mich doch sehr empört. Allerdings sei dazu angemerkt, dass der chinesische Einfluss deshalb so groß ist, weil der Westen Afrika den Rücken gekehrt hat, obwohl wir geographische Nachbarn der Europäer sind.
Hat der Amtsantritt von Barack Obama, dessen Vater aus Kenia stammte, Ihrem Heimatland genutzt?
Es gibt seitdem schon ein gesteigertes Interesse an Kenia besonders in den USA. Ob sich diese Aufmerksamkeit langfristig positiv für Kenia auswirkt, wird sich zeigen. Im Endeffekt müssen wir Afrikaner lernen, unsere Chancen zu nutzen, auch ohne Impulse aus dem Ausland, dafür haben wir genug Potential.
Vielen Dank Frau Kahui.