Kultur

Erzähl mir was Schaurig-Schönes

von Birgit Güll · 21. Dezember 2010
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Es war einmal. So klassisch beginnen einige der Geschichten von Ljudmila Petruschewskaja. Doch die vertrauten Anfangs-Floskeln führen in ganz und gar ungewöhnliche Erzählungen. "Es lebte einmal ein Vater, der seine Kinder nicht finden konnte." Oder auch: "Es war einmal ein sehr dickes Mädchen, das nicht ins Taxi passte." Und dann gibt es schlichte, kraftvolle erste Sätze wie diesen: "Der Sohn einer Frau hängte sich auf."

Schaurig real

Diese Anfänge ziehen den Leser direkt in Geschichten, die so fesselnd wie unerklärlich sind. Manche sind surreal, andere schaurig real. "Sie hatte geheiratet, doch wohin, hierhin, in diese Wildnis, in die Ödnis am Meer, wo die Menschen nicht leben, sondern auf den Sommer warten, wenn man Zimmer vermieten kann", heißt es in der Erzählung "Gott Poseidon".

Eine Frau will das Kind ihrer Nachbarin töten. Ein Baby wächst aus einem Kohlkopf. Ein Oberst hebt das Leichentuch vom Gesicht seiner toten Frau und ihm verdorrt die Hand. Dinge wie diese geschehen in Petruschewskajas Geschichten. Wo die Wirklichkeit aufhört und das Übersinnliche anfängt, ist oft schwer zu sagen. Es ist aber auch nicht wichtig.

Bissiger Humor

Ohne viel Getöse erzählt die Autorin schlicht und direkt, fast lapidar. Etwa von einem Mann, der mit seiner Frau und deren Mutter lebte, die "lag dann friedlich und lange im Sterben, um sich dann still davonzumachen. Und er, als er die Schwiegermutter begraben hatte, wartete nur geduldig darauf, dass auch seine Frau starb." So ist es im Leben dieses Mannes, "sein Weg war lang und führte nirgendwohin". Petruschewskajas Humor ist bissig, aber weit davon entfernt, bitter zu sein. Er durchzieht ihre Geschichten und bringt sie zum Leuchten.

Alle 19 Schauergeschichten in dem Band "Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte" sind nur wenige Seiten lang. Auf diesem knappen Raum entspinnt die 1938 geborene Schriftstellerin Ljudmila Petruschewskaja Erzählungen, die so dicht und reich sind, dass der Leser gerne darin versinkt.

Ljudmila Petruschewskaja: "Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte" Aus dem Russischen von Antje Leetz, Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin 2010, 191 Seiten, 8,95 Euro, ISBN 978-3-8333-0717-1

Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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