Fragen über Fragen. Das Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung sucht und findet Antworten. 22 Indikatoren wie Kinderzahlen, Alterverteilung, Wanderungsbewegungen, Freizeitwert,
Ausbildungsstand, wirtschaftliche Entwicklung machen Institutsdirektor Dr. Reiner Klingholz und die wissenschaftlichen Mitarbeiter Franziska Medicus und Steffen Kröhnert zu ihrer Basis. Auf deren
Grundlage dokumentieren und analysieren sie demografische und ökonomische Trends.
Anhand zahlreicher Karten, Grafiken und Statistiken, die nach Bundesländern, Kreisen und kreisfreien Städten gegliedert sind, kann der Interessierte die Wertungen der Autoren nachvollziehen.
Sie unterbreiten entwicklungspolitische Lösungsvorschläge und Handlungsoptionen für die Kommunen, Länder, Behörden. Die Autoren schärfen nicht nur das Bewusstsein für den demografischen Wandel, sie
fordern nachhaltige Entwicklung ein.
"Erkenntnis stiften", das will das Berliner Institut, das ein gemeinnütziges ist. Und so decken die Autoren auch die Zahlen hinter den Zahlen auf. Lange Zeit hielt sich zum Beispiel das
Gerücht vom Babyboom am Prenzlauer Berg in Berlin. Tatsächlich ist der Anteil der Kinder bis zu einem Jahr dort etwa genauso groß wie im niedersächsischen Cloppenburg, Deutschlands
geburtenreichstem Landkreis. Dafür brauchen die Prenzelberger allerdings doppelt so viele Mütter. 21 Prozent beträgt der Anteil der 25- bis 40-Jährige an der Bevölkerung , in Cloppenburg gerade mal
10 Prozent. Statistik macht's möglich.
Warum Cloppenburg so viele Kinder hat, wird auch erklärt. Da wirken zum einen die katholischen Traditionen der Alteingesessenen. Es gehört hier einfach dazu, viele Kinder zu haben. Auf Grund
der nach wie vor intakten Großfamilien ist die Abwanderung gering. Im Gegenteil, es wurde zugewandert. In erster Linie kamen Russlanddeutsche, und zwar hauptsächlich Pfingstchristen, bei denen zehn
Kinder pro Familie keine Seltenheit sind. Daher also die hohen Kinderzahlen. Und um Kinderbetreuung muss man sich keine Sorgen machen, die Mütter nehmen ihre traditionelle Mutterrolle wahr und
arbeiten höchstens halbtags. Außerdem gibt es ja noch Großeltern, Urgroßeltern.
Doch die Zeiten können sich ändern, wie ein Beispiel aus Bayern, der Hochburg der häuslichen Betreuung zeigt. Die Zuzugswellen hatten nach Landsberg am Lech in den vergangenen Jahrzehnten
junge, motivierte Frauen gespült. Die wollten sich mit dem vorherrschenden Familienmodell des "männlichen Ernährers" nicht arrangieren. Eine qualifizierte Kinderbetreuung musste her. Die Initiative
zur Gründung eines "Kinderbüros" ergriffen die Beauftragte für Chancengleichheit der Agentur für Arbeit in Weilheim, Heide Holzhauser, die Landsberger Stadträtin Margarita Däubler sowie
Mitarbeiter/innen der Frau und Beruf GmbH in München. Es gab also weder eine Revolution der Mütter, wie es in der Broschüre heißt, noch haben diese das Büro gegründet. Was der Sache an sich jedoch
keinen Abbruch tut: Denn es entstand die bundesweit erste Vermittlungsstelle für Tagesmütter und -väter, wo diese auch entsprechend ausgebildet werden. Sieben fest angestellte und etwa 40
selbstständige Tagesmütter und -väter betreuen derzeit rund 100 Kinder. 200 Bewerber stehen auf der Warteliste fürs Betreuungspersonal, weit mehr als das Kinderbüro momentan ausbilden kann.
Der Band, der alle zwei Jahre mit neuen Zahlen und Wertungen aktualisiert werden soll, enthält jede Menge solcher Geschichten hinter den Zahlen. Es ist eine wahre Fundgrube für Ökonomen,
Politiker, Journalisten und jeden interessierten Bürger.
Dagmar Günther
Steffen Kröhnert, Franzisika Medicus, Rainer Klingholz: Die Demografische Lage der Nation. Wie zukunftsfähig sind Deutschlands Regionen?, dtv, München 2006, 192 Seiten, 10 Euro, ISBN
3-423-34296-X
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