Kein Schnellschuss. Eckart Lohse und Markus Wehner, beide promovierte Historiker und preisgekrönte Journalisten, haben mit zahlreichen Weggefährten, Freunden und politischen Gegnern Peer Steinbrücks gesprochen, bevor sie ich an das Verfassen seiner Biographie machten.
Lohse und Wehner zeichnen ein differenziertes Bild des ehemaligen Bundesfinanzministers Steinbrück. Dafür sorgen ihre zahlreichen Gesprächspartner, darunter Helmut Schmidt, der den Mit-Hamburger früh als Kanzlerkandidaten ins Gespräch brachte, Frank-Walter Steinmeier, Franz Müntefering, Heide Simonis, Thorsten Albig, aber auch Roland Koch und Wolfgang Schäuble (beide CDU). Sie haben auch mit den Grünen Bärbel Höhn und Michael Vesper über Steinbrück gesprochen – und natürlich mit ihm selbst.
Familienoberhaupt ist die Mutter
Der 1947 Geborene stammt aus liberalem und bürgerlichem Milieu, schreiben Lohse und Wehner. Der Vater kehrt als Marineoffizier aus dem Krieg zurück, Großvater Herbert wird noch im Frühjahr 1945 wegen der Weigerung, sich und andere gegen die anrückende Rote Armee verheizen zu lassen, hingerichtet. Familienoberhaupt ist die resolute Mutter Ilse. Sie verbringt die in den 1930er-Jahren einige Monate bei Verwandten in Dänemark und Schweden. 1939, als Zwanzigjährige, kehrt sie zurück und empfindet die Verhältnisse in Nazideutschland als bedrückend.
Nach Kriegsende kommt sie eher schlecht zurecht mit dem Kalten Krieg und der Adenauer-Zeit, in der die Verbrechen des „Dritten Reiches“ weitestgehend verdrängt werden. Steinbrück sagt später in einem Interview: „Diese Haltung hat die Erziehung von mir und meinem Bruder geprägt.“
Reformistisch, pragmatisch, staatstragend
Politisch verorten ihn die Autoren als „klassischen rechten Sozialdemokraten“, der sich im Bundestag dem Seeheimer Kreis und den Netzwerkern zugehörig fühlt, „also den Gruppierungen, die sich traditionell als reformistisch, pragmatisch und staatstragend verstehen“. Der „Friedrich Merz der SPD“ wende sich „gegen Marxismus und Klassenkampfideologie, wie sie durch die Achtundsechziger wieder in die SPD geströmt waren.“
Logisch, dass er viele Unterstützer bei Industriellen und Bankern hat. Im Kapitel über seine Zeit als Minister der Großen Koalition heißt es: „Peer Steinbrück ist vor dem Zusammenbruch von Lehman Brothers nicht als Kämpfer gegen den Leichtsinn der Märkte aufgetreten, nicht einmal als Mahner aufgefallen. Er war andererseits auch kein Marktradikaler, der mit flammenden Reden noch den letzten politischen Schutzwall gegen das freie Spiel der Finanzmarktkräfte niederbrennen wollte.“ Kurz: „Irgendwo dazwischen liegt die Wahrheit.“
Steinbrück wird weder hochgejubelt noch niedergemacht. Die letzten Sätze der Biographie, die noch geschrieben wurden, bevor der SPD-Spitzenmann für die Bundestagswahl 2013 nominiert war, kann sich die Wahlkampfmannschaft im Willy-Brandt-Haus getrost über den Terminkalender hängen: „Gegen die Union mit einer beliebten Kanzlerin an der Spitze wird es jeder Herausforderer schwer haben. Gelingen kann das nur mit einem Kandidaten, der populär in der Bevölkerung ist, die Fähigkeit zur Zuspitzung besitzt und die Aura seriösen Sachverstands hat. Das jedenfalls gilt für jenen Mann, von dem dieses Buch handelt.“
Eckart Lohse/Markus Wehner: „Steinbrück. Biographie“. Droemer, München 2012, 364 Seiten, 19,99 Euro. ISBN 978-3-426-27593-1
Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.