von Maxi Hönigschmid
Genau diese Frage platzte auch in das Leben eines Journalisten, der seit über 30 Jahren für verschiedene deutsche Tageszeitungen tätig ist. Die Mutter, die seit über 5 Jahren den
pflegebedürftigen Vater versorgte, starb überraschend an einem Herzinfarkt.
Nun war keine Zeit für Trauer, nicht als die Beerdigung geplant wurde und auch nicht, als diese dann endlich vorbei war. Der Autor schreibt anonym, da die Lösung, die er schließlich für die
Versorgung des Vaters fand, illegal ist.
Verdrängung aus Bequemlichkeit
Er berichtet einfühlsam über die Gespräche mit der Schwester und der restlichen Familie, als sie zusammen nach einer Lösung suchen. Weshalb hatte man in der Familie nie über den "Was
- wäre - wenn - Fall" gesprochen? Warum hat man den zaghaften Klagen der Mutter über die zunehmenden Schwierigkeiten bei der Pflege ihres Mannes nie ernsthaft Gehör geschenkt? Sich so sehr dagegen
gewehrt, die Rollen zu vertauschen und Entscheidungen für die Eltern zu treffen?
Der Autor streut immer wieder Informationen über das deutsche Pflegesystem und Interviews mit Betroffenen ein. Was tut man, wenn schnell klar wird, dass keines der Kinder dazu fähig ist, den
Vater zu pflegen? Und wie wird man damit Fertig, den "Generationenvertrag" zu brechen, die Pflege nicht selbst zu übernehmen, obgleich es früher doch als so selbstverständlich galt?
Fehlende Menschlichkeit zum Preis von 3000 Euro
Was tun, wenn die Pflegeheime, die man besichtigt, sich als Verwahranstalten entpuppen, in denen der Vater respektlos mit einem "Na, wie geht's uns heute, Opa?" begrüßt wird und für ihre
"Dienste" auch noch bis zu 3000 € und mehr fordern? Wenn man herausfindet, dass pro Schicht zwei Pfleger für 25 Menschen verantwortlich sind und dank des minutiös aufgestellten Pflegeplanes keine
Zeit für Trost und Menschlichkeit bleibt?
Hinzu kommt, dass die meisten Pflegeheime Gewinn orientiert arbeiten und es sich für also Heime lohnt, die Kranken nicht etwa gesund zu pflegen, sondern auf die Pflegestufe 3 hin zu arbeiten,
um noch mehr Geld zu bekommen. Die Idee, einen privaten Pflegedienst zu engagieren, muss angesichts der Kosten von bis zu 10 000 € im Monat als geradezu absurd verworfen werden. Schließlich hält
eine polnische Krankenpflegerin in der Familie Einzug, mit deren Betreuung der Vater aufblüht und neue Lebenskraft entwickelt.
Der Autor verurteilt nicht jedes Heim per se als Endstation des menschlichen Daseins, sondern benennt auch Vorzeigeheime und Alternativmodelle wie betreutes Wohnen. Vor allem appelliert er an
die Gesellschaft, dem Thema Pflege endlich die verdiente Aufmerksamkeit zu schenken, die Altenpfleger endlich, ihrer Bedeutung angemessen, zu würdigen.
Hartz IV - Empfänger als Pfleger?
Ein Altenpfleger wird im Schnitt mit gerade einmal 2000 € brutto entlohnt. Kaum Einer, der es länger als zehn Jahre in diesem Job aushält. Diese Arbeit kann eben nicht, wie es oft behauptet
wurde, von jedem geleistet werden, der Vorschlag eines Politikers, man könne doch Hartz IV
- Empfänger als Altenpfleger einstellen, ist eine Beleidigung.
Der anonyme Schreibstil im Sinne von "der Sohn", "die Schwester" usw. hat auch den Vorteil, dass der Leser schnell begreift, dass es jede Familie treffen kann, das dieses Schicksal 1000fach
jeden Tag in das Alltagleben vieler Menschen eingreift.
Bald wird es sehr viel mehr Menschen geben, die keine Kinder haben werden, denen das Schicksal ihrer Eltern am Herzen liegt und die sich sorgen. Angesichts der zunehmenden Kinderlosigkeit
wird die Pflege in der Familie immer mehr zum Auslaufmodell degenerieren, staatliche oder private Initiativen zum Regelfall werden. Wohl dem, der sich dann noch eigenmächtig auf die Suche nach
einer adäquaten Lösung machen kann!
Anonymus: Wohin mit Vater? Ein Sohn verzweifelt am Pflegesystem; S. Fischer Verlag, 191 Seiten; 16,90 €; ISBN 978 - 3 - 10 - 061706 - 4
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