vorwaerts.de: Wie entstand die Idee für das Buch "Digital ist besser"?
Tim Renner: Die Idee entstand vor zwei Jahren während des Digital Lifestyle Day des Burda Verlags. Michael Arlington von TechCrunch war zu Gast und hatte den anwesenden Medienmachern gesagt, dass die Zeit vorbei sei, wo Geschäftsmodelle auf den Rechten Dritter aufgebaut werden können. Erst sprang Hubert Burda auf die Bühne und hielt eine Gegenrede, später wurde Herr Arlington von einem Journalisten angespuckt.
Die Eskalation erinnerte mich an den Anfang des Endes der Musikindustrie. Darüber sprach ich abends mit meinem Bruder, als ich ihm per Telefon zum Geburtstag gratulierte. Viel mehr als meine Glückwünsche interessierten ihn der Vorfall und das Thema. Beide ereiferten wir uns über das Unverständnis, das der Digitalisierung seitens des Establishments entgegen kommt. Schnell war uns beiden klar, aus dem Gedanken und dem Diskurs kann man mehr machen. In unserem Fall ein ganzes Buch.
Die Kapitel sind ja abwechselnd von Ihnen beiden verfasst worden. Wie sind Sie beim Schreiben des Buches vorgegangen und wie haben Sie die Arbeit verteilt?
Bis auf das Vorwort und das letzte Kapitel haben wir alle Kapitel getrennt geschrieben, teilweise auch räumlich getrennt. Wobei wir dabei schmerzlich feststellen mussten, dass hier
klassische Brüdermechanismen griffen. Am Anfang sollte es ein schnelles E-Mail Ping-Pong sein. Plötzlich brauchte mein Bruder aber zwei Wochen und ich dachte: 'Arschlecken, dann brauche ich drei
Wochen'. Dann brauchte er vier Wochen und das zog sich dann immer länger hin. Bis wir dann irgendwann sagen mussten: 'Mist, wenn wir nicht die nächste Deadline von unserem Verlag reißen wollen,
dann müssen wir zwei uns mal eine Woche zusammensetzen.'
Hat er den großen Bruder und Journalisten Ihnen gegenüber betont?
Nein, das ging ganz gut, da war ich ganz überrascht. Die üblichen Herabsetzungen wie man sie von allen großen Brüdern der Welt kennt, blieben aus. Stattdessen meinte er sogar, ich könne schreiben...
Können Sie sich ein Leben ohne Musik vorstellen?
Nein, ich kann mir kein Leben ohne Musik, aber auch kein Leben ohne die vielen, anderen Formen von Kunst und Kultur vorstellen. Wir brauchen dringend den emotionalen Ausdruck im täglichen Leben, auch als Korrektiv zu einer sich immer mehr ins vermeintlich Rationale verändernden Welt. Kunst und Kultur haben eine extrem wichtige Aufgabe der Hinterfragung der Ethik der Gesellschaft.
Wie sehen die Medien in Deutschland in 20 Jahren aus?
Wir werden wesentlich weniger physische Güter haben. Nehmen Sie sich beispielsweise ihre Zeitschrift, den vorwärts. Die Hauptkosten, die Sie haben, sind die Versandkosten an die ganzen Mitglieder, die automatisch auch Vorwärts-Abonnenten sind. Wenn sich das eliminieren ließe, indem man Leuten ein Lesegerät zukommen lässt, damit Sie in Zukunft nicht mehr das Porto bezahlen müssten, würde sich das Lesegerät ziemlich schnell amortisieren und ökologischer wäre es auf Dauer auch.
Dafür müsste aber schon der Atomausstieg geglückt sein und alle Server mit Energie aus regenerativen Quellen betrieben werden.
Da müssen wir ja eh hin. Es wird ja keine andere Möglichkeit geben, als dass wir massiv investieren und uns in der Energiewirtschaft komplett umorientieren in regenerative Energien. Wenn wir das nicht schaffen, haben wir in 20 Jahren ganz andere Probleme.
Wie haben Sie darauf reagiert, als, wie Sie im Buch schildern, Ihre Tochter mit einem Stapel CDs in den Händen in die Küche kam und fragte, ob die jetzt Sondermüll wären?
Ich war perplex. Wahrscheinlich bin ich der Letzte bei mir zu Hause, der an physischen Medienprodukten hängt. Meine Frau wäre sehr froh, wenn ich sowohl mein Vinyl als auch meine CDs entsorgen würde, denn sie nehmen bei uns in einem relativ großen Wohnzimmer eine ganze Seitenwand ein. Das würde ich zumindest bei Vinyl niemals tun. Sie ist sowohl von der Haptik als auch vom Klang der CD überlegen.
Stehen in Ihrer Wohnung auch so viele Bücher wie bei den Eltern?
Nein, so viele natürlich nicht. Aberich habe reichlich Bücher und ich bin noch ganz klassisch mit Büchern sozialisiert worden. Insofern fällt es mir schwer, sie zu entrümpeln. Die ersten Bücher sind aber schon im Second-Hand-Versand gelandet.
Ich bin ein Historiker mit Magister und habe ein Volontariat bei CHIP absolviert. Ich entwerfe PR-Strategien für Start-UPs und arbeite als freier Redakteur. Außerdem bin ich ein aktives SPD-Mitglied und wohne in Berlin.