Kultur

Einwanderung in Deutschland: „Erfolgsgeschichte mit Schattenseiten“

Das Bonner "Haus der Geschichte" zeigt bis August dieses Jahres die spannende Ausstellung "Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland".
von ohne Autor · 6. Februar 2015
Willkommensgeschenk: Der einmillionste Gastarbeiter bekam bei seiner Ankunft in Deutschland dieses Moped geschenkt.
Willkommensgeschenk: Der einmillionste Gastarbeiter bekam bei seiner Ankunft in Deutschland dieses Moped geschenkt.

Schon wenige Jahre nachdem rund zwölf Millionen Flüchtlinge und Vertriebene in Westdeutschland eine neue Heimat gefunden hatten, gingen dem Land die Arbeitskräfte aus. 1955 schloss die Bundesrepublik das erste Anwerbeabkommen mit Italien. Die Gastarbeiter auf Zeit – so war das geplant – verrichteten im erstarkenden Wirtschaftswunderland die ungeliebte Schwerarbeit: Sie arbeiteten in den Kohlebergwerken, in der Stahlverarbeitung, auf dem Bau und blieben für die deutsche Gesellschaft fast unsichtbar, denn sie lebten meist in Massenunterkünften nahe ihrer Arbeitsstelle und blieben unter sich. Der Lohn half den Familien zu Hause beim Überleben. Einwanderungsland Deutschland? Das stand nicht zur Debatte, auch nicht, als nach den Italienern die Spanier, die Griechen, die Jugoslawen und die Türken kamen.

Im Bonner Haus der Geschichte läuft bis August dieses Jahres eine spannende Ausstellung: „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“.  Eindrucksvoll wird gezeigt – konsequent aus der Sicht der Einwanderer, die man bis weit in die 90er Jahre hinein so nicht nennen mochte – wie Deutschland selbst sich verändert hat durch die einstigen Gastarbeiter, die Aussiedler, die Flüchtlinge und Asylsuchenden. Und sie zeigt, wie steinig dieser Weg war für jene, die Arbeit oder Schutz und ein neues Zuhause suchten. 

800 Exponate zeigen Licht und Schatten

Es ist eine sehr sinnliche Ausstellung. Viele Ausländer der 2. oder 3. Generation kommen selbst zu Wort, erzählen ihre und die Geschichte ihrer Eltern und Großeltern. Rund 800 Exponate haben die Ausstellungsmacher zusammengetragen: Die schmalen Etagenbetten mit den kratzigen Wolldecken bei Volkswagen. Die Firmen mussten damals „angemessene Unterkünfte“ stellen.  Der Ford Transit eines türkischen Gemüsehändlers, bemalt mit den deutschen und den türkischen Nationalfarben. Jahr für Jahr fuhr der Mann über die „Todesstrecke“ genannte Balkanroute in die Türkei, brachte begehrte Geschenke aus Deutschland mit und auf dem Rückweg typisch Türkisches gegen das Heimweh. „Türkenschaukel“ nannte man diese Autos damals spöttisch. Zu sehen ist das Kostüm des ersten schwarzen Karnevalsprinzen und das Moped, das der einmillionste Gastarbeiter aus Portugal bei der Ankunft geschenkt bekam. Es gibt Bilder von den aberwitzig vollen Zügen „Istanbul-München“  aber eben auch dieses: Ein Baseballschläger  mit dem Aufkleber „Asylbetrüger“.  Ein Kunstwerk aus Teilen eines in Lampedusa gestrandeten Flüchtlingsbootes, einen verbogenen Nagel vom sogenannten Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße, ein Stapel Sarazzin-Bücher „Deutschland schafft sich ab“.

Die Besucher werden an die Anschläge in Mölln, Solingen, Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen erinnert. Sie stehen vor Wahlplakaten, die die Schamröte ins Gesicht jagen. Zum Beispiel 1989 in Berlin den Slogan der sogenannten Republikaner: „Berlin muss deutsch bleiben“ oder 1992 in Baden-Württemberg die NPD: „Deutschland den Deutschen.“

Auch die seriöse Politik und die liberale Presse spielten mit, warnten seit den späten 70er Jahren vor Türken-Gettos und entschieden in den 90ern: „Das Boot ist voll“.

Die Folgen falscher Politik

Dabei waren es immer wieder die Folgen von Regierungsbeschlüssen, die zu weiterem Zuzug führten: etwa der Anwerbestopp von 1973. Damals holten viele Gastarbeiter, die sich längst aufs Bleiben eingerichtet hatten, ihre Familien nach Deutschland. Häufig arbeiteten in jener Zeit Vater und Mutter in deutschen Fabriken, die Kinder wuchsen bei den Großeltern im Süden oder Südosten Europas auf. Kaum jemand machte sich damals Gedanken über das Leid dieser zerrissenen Familien, die sich in der Regel nur einmal im Jahr sahen.

Das alles ist längst Vergangenheit. Die einstigen Gastarbeiter gehören für die Mehrheit der Deutschen heute ganz selbstverständlich dazu. Und der Umgang mit Flüchtlingen ist – Pegida und Islam-Debatten hin oder her – heute sehr viel mehr von Mitgefühl getragen als in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Auch das lässt sich in der Bonner Ausstellung studieren: Deutsche Wissenschaftler, Literaten, Filmemacher, Schauspieler, Kabarettisten tragen türkische und iranische, syrische und italienische Namen. Natürlich sind wir ein Einwanderungsland. Für den Migrationsforscher Klaus Bade ist es „eine Erfolgsgeschichte mit Schattenseiten.“ Für die zahlreichen jungen Besucher mit und ohne Kopftuch, mit und ohne fremden Akzent scheint die Geschichte ihrer Eltern und Großeltern eher Vergangenheit zu sein, das Leben in Deutschland für sie normale Gegenwart.

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