Kultur

Einsteigen und Türen schließen

von ohne Autor · 30. November 2012

Das versteckte Elend einer Wohlstandsgesellschaft: Jeder hat zu dieser Floskel die üblichen Bilder im Kopf. Die irisch-finnische Tragikomödie „Gestrandet“ zeigt hingegen, was es heißt, sich in der Welt der Obachlosen und Arbeitslosen zu einem neuen Leben aufzuraffen.

Dieser Morgen am Rande von Dublin ist einer wie jeder andere. Fred steht auf und rasiert sich. Während der Tee zieht, hört er die Nachrichten im Radio. Frisch gekämmt versorgt er die Hauspflanzen. Doch auf den zweiten Blick zeigt sich, dass Freds Leben alles andere als alltäglich ist. Selbst wenn es das im von der Wirtschafts- und Finanzkrise gebeutelten Irland bald werden könnte.

Fred macht sich nicht etwa gerade startklar, um gleich die Wohnung zu verlassen und zur Arbeit zu gehen. Fred bleibt da, wo er ist: in seinem Auto auf einem windumtosten Parkplatz an der Irischen See. Seitdem der arbeitslose Uhrmacher zurück aus England ist, ist das sein Zuhause. Ohne festen Wohnsitz bekommt er keine Sozialhilfe. Und ohne Sozialhilfe keine Wohnung. Doch dieser Teufelskreis kann Fred nicht von seinem zutiefst bürgerlichen Lebensgefühl abbringen. Kurz gesagt: Niemand würde Fred seinen tiefen Fall ansehen. Zumal er einmal in der Woche zur Rundum-Körperpflege ins Hallenbad geht. 

Sein porentief rein gewienertes Auto hat Fred zur Wohnung umfunktioniert. Der Parkplatz ist sein Revier. Jeder Eindringling wird misstrauisch beäugt. Als sich dort zwei Junkies mit ihrer Klapperkiste breitmachen, scheint Freds kleines Reich der Ordnung in Gefahr zu sein. Doch in Wahrheit ist es vielleicht seine letzte Chance.

Junkies bringen Glück

Einer jener pickligen „Drogenspinner“ ist Cathal. Zwischen den beiden Männern, die Vater und Sohn sein könnten, knüpft sich ein zartes freundschaftliches Band, das mit der Zeit immer fester wird. Cathal bringt Fred dazu, über sich hinaus zu wachsen. Zuerst mit einem ungelenken Hüpfer vom Sprungbrett ins Schwimmbecken. Der zweite Schritt erscheint schon schwieriger: Cathal will den Endünfziger dazu bringen, das Herz der ebenso einsamen Klavierlehrerin Jules, die dieser beim Schwimmen kennengelernt hat, zu gewinnen. Doch wie soll das funktionieren, wenn er die sensible Blondine noch nicht einmal zu sich nach Hause einladen kann?

Die Liebe zu scheinbar nebensächlichen Details im Alltag von Menschen, die sich unbeachtet von der Mehrheit irgendwie durchschlagen, lässt Darragh Byrnes langjährige Karriere als Dokumentarfilmer erkennen. „Gestrandet“ ist sein erster Spielfilm. Während der ersten Momente dieser Tragikomödie fühlt man sich an den Realismus von Altmeister Ken Loach erinnert.

Doch mit zunehmender Laufzeit erinnern Erzählweise und Bildsprache eher an Aki Kaurismäkis „Der Mann ohne Vergangenheit“. Anstatt, wie Loach es in vielen seiner Filme zelebriert hat, das Frustrierende am Dasein der Außenseiter ins Schrille umzukehren, überwiegt auch hier ein leiser Humor und ebensolche Melancholie. Was wiederum nicht heißt, dass Byrne der Realität damit weniger nah kommt als Loach.

Märchenhafte Gegensätze

Gleichwohl trägt „Gestranded“ auch märchenhafte Züge. Wann schon finden Typen wie Fred und Cathal in der Realität zueinander, die trotz ihrer Armut in verschiedenen Welten leben? Hier Fred, der krampfhaft an seinem Leben als korrekter Angestellter festhält und mit Inbrunst hinterm Steuer angejahrte Uhren repariert. Und dort Cathal, der, um sich den nächsten Schuss zu besorgen, kriminell geworden ist und sich obendrein auch noch mit seinem Dealer angelegt hat. Und der entgegen allen Beteuerungen immer tiefer im Sumpf seiner Sucht versinkt. Doch je unausweichlicher Cathal seinem Untergang entgegensteuert, desto mehr Kräfte mobilisiert er, um Fred dazu zu bewegen, sich nicht aufgeben – mögen ihn die Angestellten der Sozialhilfestelle auch noch so arrogant abweisen.

Die Rollen erscheinen wie vertauscht: Der verpeilte, drogenkranke Jüngling lehrt den vermeintlich Erfahreneren und Solideren seine Selbstliebe wiederzuentdecken. Die auffällig konträre Physiognomie der großartigen Hauptdarsteller Colm Meaney alias Fred (eher bullig) und Colin Morgan als Cathal (eher hager) macht diese auf den Kopf gestellte Vater-Sohn-Schiene umso augenscheinlicher.

Doch reichen Cathals Coachingkünste aus, um Fred aus seiner Wagenburg zu vertreiben und mit Jules zusammenzubringen? Wie auch im richtigen Leben hilft das Schicksal ein wenig nach, um festgefahrene Strukturen aufzubrechen. Doch das Ende des Weges ist dadurch nicht weniger offen als vorher. Elend hat, so banal es auch klingt, viele Gesichter. Doch es muss keine Sackgasse sein. Auch das ist es, was von diesem fast schon warmherzig zu nennenden Film hängen bleibt.

 

Info:
Gestrandet (Parked), Irland/ Finnland 2011, Regie: Darragh Byrne, mit Colm Meaney, Colin Morgan, Milka Ahlroth u.a., 95 Minuten. Ab sofort im Kino

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