Nach 20 Jahren in Deutschland stellt Ozan Ceyhun fest: „Deutschland ist nicht bereit, seine Einwanderer wirklich mit offenen Armen aufzunehmen. Sie bleiben, auch als deutsche Staatsbürger, eine Art Gastarbeiter.“ Der SPD-Politiker erzählt in seinem Buch „Man wird nie Deutscher“ von seinem gescheiterten Versuch in der neuen Heimat als Deutscher akzeptiert zu werden.
Der in der Türkei geborene Ozan Ceyhun ist ein Musterbeispiel in Sachen „integrationsbereiter Migrant“. Der SPD-Politiker hat Deutschland als engagierter Abgeordneter im Europäischen Parlament vertreten, war zehn Jahre stellvertretender Vorsitzender des Interkulturellen Rates in Deutschland. Er war vier Jahre Mitglied bei den Grünen, gründete mit Cem Özdemir die grüne Splitter-Gruppe: „Immi-Grün– Bündnis der neuen InländerInnen“, bevor er 2000 zur SPD wechselte. Sein EU-Mandat nahm er mit.
Von Ankara nach Rüsselsheim
Ohne anzuklagen beschreibt Ceyhun in seinem Buch die Situation. Er erklärt, wie sein persönliches Integrationsmodel aussieht und wie es sich entwickelt hat. Als Ozan Ceyhun 1980 nach Deutschland kommt hat er die besten Voraussetzungen. Er stammt aus einem angesehenen Elternhaus, besucht Privatschulen, lernt früh Deutsch, studiert in Ankara Germanistik. Wer so privilegiert aufwächst, verlässt seine Heimat meist nicht freiwillig: Der Gymnasiast Ceyhun tritt öffentlich als Linker auf.
Nach dem Militärputsch 1980 muss er fliehen. Über Wien landet er 1982 im hessischen Rüsselsheim und will bleiben. Er lässt sich zum staatlichen Erzieher ausbilden, heiratet eine Deutsche, nimmt die deutsche Staatsbürgerschaft an und macht politische Karriere.
Fremdenfeindlichkeit und Vorurteile
Ceyhun erzählt in seinem Buch viel über Empfindlichkeiten, Achtlosigkeiten und Vorurteile, die Menschen wie ihm das Leben in ihrer neuen Heimat verleiden und schwer machen. Er schreibt lebendig und lesenswert wie es war, als er in den 1990er Jahre Referatsleiter im hessischen Landesministerium war, zuständig für Flüchtlingsunterbringung und Integration. Ausländerfeindliche Anschläge (Solingen, Mölln), Fremdenfeindlichkeit, überforderte Behörden. Er erklärt die „Schocktherapie“: Ein Mann mit türkischem Akzent erklärt verunsicherten Anwohnern erklärt, warum sie Ausländer akzeptieren sollten.
Bald steht Ceyhun auf der „Roten Liste“ der Neonazis. Er macht trotzdem weiter. Beim Lesen seiner faszinierenden Lebensgeschichte entsteht Respekt dafür, dass er sich nie unterkriegen lässt. Und dafür, dass er fair bleibt: Statt mit den Grünen scharf abzurechnen, kritisiert Ceyhun sachlich den unkollegialen Umgang mit ihm als türkischstämmigem Deutschen. Er beschreibt den rauen Umgangston von Joschka Fischer und die Versuche, ihn als Kandidaten für das EU-Parlament zu verhindern.
„Man wird nie Deutscher“
Liest man Ceyhuns Ausführungen ist man nicht überrascht, wenn er feststellt: „In Deutschland zählt nur die Herkunft, einmal Türke, immer Türke.“ Er selbst hat das vor zehn Jahren sehr deutlich gespürt. Der damalige Kanzler Gerhard Schröder, gerade wiedergewählt, wollte sich bedanken. Er wusste, dass er den knappen Wahlsieg nicht zuletzt den türkischstämmigen Wählern zu verdankte, die Ceyhun für die SPD mobilisiert hatte.
Die beiden Männer sprechen unter anderem über die Wahlen in der Türkei, bei der die neue AKP von Recep Tayyip Erdogan an die Regierung gekommen war. Damals konnte der Rest Europas noch wenig mit der früheren islamistischen Partei anfangen. „Sag mal, Ozan“, fragte Schröder: „Warum haben deine Landsleute eigentlich diesen Erdogan gewählt?“ Der Schock jenes Augenblicks sitzt immer noch tief: „Sollte ich als SPD-Duzgenosse 'Gerd' darüber aufklären, dass ich deutscher Staatsbürger bin und das nicht meine Landleute sind. Dass ich von türkischer Innenpolitik ebenso wenig verstehe wie er? Nein!“. Sinnlos. Ceyhun akzeptierte endlich: „Man wird nie Deutscher.“
Mehrstaatlichkeit als Zukunftsmodell
Was an Ceyhuns Buch so beeindruckt ist seine klare Haltung. Seine präzise Sprache und seine Suche nach neuen Lösungen. Eine davon ist seine Doppelte Staatsbürgerschaft: 2010 beantragt Ceyhun die türkische Staatsangehörigkeit, um in die türkische Politik zu gehen. Heute lebt er in beiden Ländern, ist nach wie vor in der SPD. Für Ceyhun ist es eine Herausforderung, aktives Mitglied von zwei Gesellschaften zu sein. Er berät den türkischen Europa-Minister Egemen Bagis, den nordzyprischen Präsidenten Dervis Eroglu. Seine Geburtsstadt Adana ernannte ihn zum Berater für EU-Angelegenheiten. Sie alle schätzen seine Erfahrungen, seine Kontakte.
Er beschreibt euphorisch, weshalb für ihn ist das Modell der Mehrstaatlichkeit ein Zukunftsmodell ist, das seine Zeit braucht. „Es muss gelebt werden, und man muss erst einmal lernen, damit umzugehen. Vielleicht kann ich in Deutschland gut integriert sein und dabei Türke bleiben: 60 Prozent Türke, 40 Prozent Deutscher, deutscher werde ich nicht.“
Ozan Ceyhun: „Man wird nie Deutscher“, Rowohlt Verlag , Reinbek 2012, 190 Seiten, 12,99 Euro, ISBN 978-3-499-62819-1