"Transnationalmannschaft" will jene Fronten aufweichen. Und nicht nur das: Vor der Kulisse des Fußballfiebers vor einem Jahr zeigt Regisseur Philipp Kohl, dass derlei Kategorien obsolet sind. Dafür bemüht der 28-Jährige ein Format, das einige für vorbelastet halten mögen: den Heimatfilm. Dessen Begrifflichkeit erinnert an die Theorie der Transkulturalität: Begegnen sich Angehörige verschiedener Kulturkreise, verwischen sich die Grenzen und es entsteht etwas Gemeinsames - eine offene, transkulturelle Gesellschaft, die sich aus verschiedenen Wertesystemen und Erfahrungswelten speist.
Migration im Heimatfilm
Wie man es von Heimatfilmen kennt, ist der Schauplatz von "Transnationalmannschaft" äußerlich überschaubar. Umso schillernder ist dessen Innenleben: Momentan wandelt sich der Mannheimer Stadtteil Jungbusch vom heruntergekommenen Arbeiterquartier zum Ausgehviertel mit alternativem Flair. 60 Prozent der Bewohner haben ausländische Wurzeln. Einige von ihnen begleitete Kohl während der Fußball-Weltmeisterschaft im vergangenen Sommer. Beim Public Viewing oder auf dem Bolzplatz sprach er mit ihnen über ihr Gefühl, deutsch zu sein.
Eines haben die Polizistin, der Gemischtwarenhändler, die Kellnerin, der Friseur und der Fußballtrainer gemeinsam: Ihre Eltern stammen aus verschiedensten Teilen der Welt. Und doch zittern sie mit dem Team von Jogi Löw. Es ist ihre Mannschaft, ein Modell, und das nicht nur für das Zusammenleben in Jungbusch. Ordnungshüterin Suzanna - ihre Eltern stammen aus Serbien und Kroatien - beschreibt diese "Transnationalmannschaft" so: "Es ist eine Mannschaft, die über Grenzen hinwegsieht und gut funktioniert." Als Özil und Co. nach dem 0:1 im Vorrundenspiel gegen Serbien vom Platz gehen, packt sie genervt ihr Funkgerät und geht wieder auf Streife.
Es ist die Gemeinsamkeit im Unterschiedlichen, die die jubelnden Fans zum Ausdruck bringen, als Deutschland Argentinien aus dem Turnier kickt. Der offene Lokalpatriotismus, der sich auch im Dialekt niederschlägt, zeugt von einem selbstbewussten Miteinander jenseits von ethnischen Schubladen.
Wege aus der Spachlosigkeit
Für diese Gemeinsamkeit bedarf es einer gemeinsamen Sprache. Fehlt dieser kulturelle Zugangscode, bleiben die Menschen außen vor. Das führt der Dokumentarfilm anhand von zwei Nachbarsjungen vor, die keine Freunde haben und nur mit ihren Brüdern spielen. Als Auswege aus der Abschottung werden Deutsch-Unterricht in Vorschulklassen, Trommelkurse an der Orientalischen Musikakademie und natürlich Fußball präsentiert - selbst wenn im örtlichen Jugendverein fast ausschließlich türkischstämmige Jungs spielen.
Einer von ihnen sagt, dass er am liebsten bei der Nationalmannschaft der Türkei anheuern würde. Doch gäbe es ein Aufgebot aus Mannheim oder Jungbusch, würde er mit diesem Team auflaufen - auch gegen die Türkei. "Mannheim ist meine Heimat", sagt er.
Wer den Ansatz, Identitätsfragen am Rande des "Sommermärchen"-Rummels zu verhandeln, für unglücklich hält, wird von der unverkrampften Art überrascht, mit der sich die Menschen offenbaren. Zum Beispiel, wenn der Händler Bashir davon erzählt, wie er sich als 16-jähriger Flüchtling aus Afghanistan plötzlich in einer westdeutschen Großstadt wiederfand. Seine gelassene Art kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es für ihn auch 23 Jahre später nicht nur eine Heimat gibt.
Vom Objekt zum Subjekt
Manchmal beschleicht einen das Gefühl, dass der gebürtige Mannheimer Kohl, der selbst in Jungbusch lebt, seine Umgebung in allzu idyllischen Farben malt. Die Bekenntnisse zum Miteinander wiederholen sich, klingen in einigen Fällen sogar wie Imponiergehabe, was dazu führt, dass die positive Botschaft, die der angehende Ethnologe stückchenweise zusammengetragen hat, am Ende überstrapaziert wirkt.
Andererseits fällt angenehm auf, dass in diesem Film im besten Sinne Menschen von der Straße sprechen, denen in Mainstream-Debatten oftmals nur die Rolle als Objekt bleibt. Das Gleiche gilt für den Fokus auf die Chancen einer transkulturellen Gesellschaft. Auch davon war in letzter Zeit wenig zu hören. Daher kommt "Transnationalmannschaft" auch ein Jahr nach den schönen Bildern im richtigen Moment in die Kinos.
Info: Transnationalmannschaft (D 2010), Regie: Philipp Kohl, Sprache: Deutsch. Kinostart: 2.6. Weitere Infos: www.transnationalmannschaft.de