Kultur

Eine Reise auch in die Vergangenheit

von Tomas Unglaube · 14. Januar 2013

Genervt von dem Dienst in einem Seniorenheim, den sie wegen eines Autodiebstahls ableisten muss, entscheidet sich die 17-jährige Viebke spontan, mit dem über 70 Jahre alten Heimbewohner Hans Langhans in dessen Wohnmobil nach Frankreich zu reisen. Viebke will dort in der Nähe von Toulouse ihren Freund Constantin treffen, obwohl dieser sich bereits von ihr getrennt hat. Auch Langhans zieht es nach Toulouse; warum, bleibt zunächst unklar. Sechs Tage dauert die gemeinsame Fahrt des ungleichen Paares nach Südfrankreich. Sechs Tage, in denen Viebke nicht nur über ihre Beziehungen zu Constantin und zu ihrer Mutter nachdenkt, sondern auch mehr über ihren großväterlichen Begleiter erfährt.

Langhans hatte während des Spanischen Bürgerkrieges auf der Seite der Republikaner gekämpft, war anschließend im kommunistischen Widerstand in Frankreich gegen die Nazis aktiv und will nun eine ehemalige Genossin treffen. Diese wirft ihm vor, während der Zeit der Resistance aus enttäuschter Liebe zu seiner damaligen Frau Henny Menschen an den Sicherheitsdienst verraten zu haben. Ob dieser Vorwurf zu Recht erhoben wird, bleibt allerdings unklar. Zu groß sind die Widersprüche zwischen den Geschichten, die Langhans selbstverliebt erzählt, und den Briefen und Tagebuchaufzeichnungen, die Viebke im Wohnmobil findet und heimlich liest. Viebkes Versuche, Langhans zu einer Klarstellung zu bewegen, führen zu keinem Ergebnis.

Kein reiner Liebesroman, kein rein politischer Roman

Eindringlich schildert Bruder die Schwierigkeiten menschlicher Beziehungen. Das zeigt sie nicht nur an Viebke. Sie verdeutlicht es vor allem an Langhans, der auch nach über 50 Jahren seine große Liebe Henny nicht vergessen mag. Und das bestimmt schließlich auch die Entwicklung der Beziehung von Viebke und Langhans während ihrer Reise. Die anfängliche Ablehnung weicht einem gegenseitigen Respekt: Viebke erkennt die Bedeutung politischen Denkens und Handelns für Langhans, er versteht warum das Mädchen vermeintlich ziellos ist. Allein die präzise Schilderung dieser vorsichtigen Annäherung zweier glaubwürdig gestalteter Charaktere macht „Asphaltsommer“ lesenswert.

Wer zu Karin Bruders Roman greift, um eine Liebesgeschichte zu lesen, wird enttäuscht werden. Gleiches gilt für Leserinnen und Leser, die einen historischen Roman mit einer klaren Botschaft erwarten; die zahlreichen Informationen vor allem über die Resistance werden nur gebrochen vermittelt. Wer sich aber für die Vielschichtigkeit menschlicher Beziehungen und für das Ineinandergreifen von Geschichte, Politik und Privatem interessiert, dem kann „Asphaltsommer“ empfohlen werden. Der bisweilen schnoddrige, selbstironische Stil, in dem Bruder ihre 17-jährige Protagonistin die Story erzählen lässt, erleichtert jungen Leserinnen und Lesern gewiss die Lektüre.

Karin Bruder: "Asphaltsommer", dtv, München 2012, 320 Seiten, ab 14 Jahren, Euro 12,95, ISBN 978-3-423-62521-0

 

 

 

 

Autor*in
Tomas Unglaube

ist freier Journalist.

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