Kultur

„Eine mutige Frau bringt die Weltgeschichte in Bewegung“

von Die Redaktion · 27. Februar 2007
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"Im Jahr 2003 las ich zum ersten Mal eine Fassung des Drehbuchs mit der Geschichte von Anna Walentynowicz. Es war wie ein Schock. Denn diesen Teil der Historie kannte ich noch nicht. Da ich selber in einem sozialistischen Land geboren und aufgewachsen bin, habe ich diesen Kampf in Polen natürlich mit Herzklopfen verfolgt und früh gespürt, dass etwas Ungeheuerliches passiert. Aber die Tatsache, dass eigentlich diese tapfere, kleine Frau am Rad der Geschichte gedreht hat, war mir neu. Dann sah ich den wunderbaren Dokumentarfilm über Anna und ihre schon so früh beginnende Hartnäckigkeit, wenn es um Fragen der Gerechtigkeit geht, beeindruckte mich ungemein. Volker Schlöndorff sagte zu mir, er würde diesen Stoff gern mit mir als Anna drehen. Und das fast 30 Jahre nach der Blechtrommel. Und wieder in Danzig. Unglaublich - das klang wie eine Fügung.

Was die Arbeit mit Volker Schlöndorff betrifft, so muss ich sagen, dass er heute jünger auf mich wirkt als damals. Ich war überrascht zu erfahren, dass er Marathon läuft. Er steckt so unglaublich voller Energie. Er ist zwar etwas älter als ich, aber mir hängt bei seinem Tempo doch irgendwann die Zunge aus dem Hals, weil er sportlicher ist und mehr Energie hat. Ich arbeite gern mit ihm. Er ist nicht nur schnell mit seinen Füßen, sondern auch mit seinem Kopf und seinem Herzen

Besonders mag ich an ihm, dass er sich schnell in die Schauspieler hineinfühlt. Er erkennt ihre Stärken und Schwächen. Als ich ihm das erste Mal begegnete, wollte er mit mir nur eine Einstellung drehen. Er fühlte, dass ich bei einer zweiten oder dritten Aufnahme nicht mehr so frisch wie bei der ersten wäre. Ich weiß, dass er mir als Schauspielerin vertraut. Ein gutes Gefühl. Es geht doch darum, was ich im ersten Moment für die Rolle und die Situation empfinde.

Natürlich haben wir uns in der Vorbereitung Gedanken gemacht und über den Charakter der Agnieszka diskutiert, aber als wir dann drehten, ging es eben um diesen ersten Moment. Volker arbeitet hart, damit jede Szene sitzt, damit jedes Wort da ist, wo es sein soll. Es ist ein wenig, als ob wir einen Dokumentarfilm drehen. Ich finde, dass ist eine gute Art, an die Dinge heranzugehen.

Als ich das Drehbuch zum ersten Mal las, konnte ich plötzlich die Gefühle der Vergangenheit wieder aufleben lassen. Ich erinnerte mich an die schlechten aber auch an die guten Dinge. Deshalb ist es natürlich einerseits ein Charakter, den ich spiele, aber andererseits steckt auch viel von meinen persönlichen Erfahrungen in der Figur. Außerdem ist es die große Chance für mich, jetzt mit 51 Jahren wirklich etwas Besonderes zu tun, weil ich mich in einer Art Zeittunnel befinde. Man wünscht sich immer wieder, dass Kunst die Chance hat, etwas in Bewegung zu bringen. Inwieweit das wirklich passiert, weiß ich nicht genau. Aber ohne die Hoffnung darauf sollte man nie arbeiten, nicht denken und nicht fühlen.

Ich finde die Tatsache wichtig, dass ein so kleiner Stein wie diese Frau eine ganze Weltgeschichte ins Rollen gebracht hat. Und das eigentlich nur wegen ihres Glaubens an Gerechtigkeit und wegen ihrer Unbeirrbarkeit, mit der sie ihre Meinung vertreten hat. Man kann manchmal mehr erreichen als man denkt, und das beeindruckt mich an der Frau und an dieser Geschichte. Inwieweit diese Frauenfigur beispielgebend ist, weiß ich nicht. Dass wir Frauen eigentlich schon seit Jahrtausenden das Weltgeschick leiten, ist bekannt. Dass die Männer damit nicht ganz klar kommen und sich immer in den Vordergrund drängen, ist auch bekannt.

Für eine unabhängige Frau kann es manchmal auch schwierig sein, ihren Weg zu gehen. Ich bin auch Mutter und sogar Großmutter. Ich weiß, was es bedeutet, ein Kind zu haben, einen Job und ohne einen Mann zu sein, der einen unterstützt. Das ist nicht nur schwer, es ist harte Arbeit. Sicherlich war es für Agnieszka manchmal problematisch, aber es kam für sie nie in Frage, das Kind für eine Idee allein zu lassen. Obwohl es für den Jungen, meinen Sohn im Film, natürlich manchmal so aussah. Erst wenn Kinder erwachsen werden, verstehen sie ihre Eltern besser und das braucht eben Zeit.

Aber noch ein anderer Gedanke hat mich beschäftigt: Natürlich war da die Angst, sich als Deutsche ausgerechnet dieser Figur und dieser explizit polnischen Geschichte anzunehmen. Nach den vielen Begegnungen mit den polnischen Kollegen vor und hinter der Kamera relativierten sich diese Ängste ein wenig. Als dann jedoch die Arbeit direkt auf eben derselben Werft in Danzig begann, wo alles geschah, ich die Schiffe entstehen sah und die Menschen traf, die dort arbeiteten oder als Statisten die Geschichte von damals wieder aufleben ließen, fühlte ich mich ihnen verwandt und bin stolz, wenigstens für kurze Zeit dazugehört zu haben.

Sprachlich gesehen hatte ich es schwieriger vermutet, als es dann wurde. Und ich hatte schon früher in Polen gearbeitet. Wir hatten vor den Dreharbeiten Lesungen mit den polnischen Schauspielern. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich jedes Wort verstehe, manchmal aber auch nicht. Und es gab Momente, in denen es gut für den Charakter war, ein wenig für sich, ja fast unverstanden zu sein, weil die Hauptfigur nun mal eine einsame Person war.

Ich finde es persönlich interessant, manchmal ein wenig außerhalb zu stehen, abseits der normalen Leute. Menschen, die Geschichte schreiben sind nie normal, im Sinne von gewöhnlich. Nur solche Menschen können Außergewöhnliches bewegen.

Und was die Atmosphäre beim Drehen auf der Werft betrifft, na ja, vielleicht habe ich jetzt einen neuen Job, wer weiß? Als ich jetzt eine Woche in Berlin war, sehnte ich mich nach der Werft zurück. Ich habe sie vermisst. Für mich war sie einer der schönsten Orte, an denen ich jemals gedreht habe. Zu Beginn dieses Jahres hielt ich Lesungen auf einer Kreuzfahrt. Ich war beeindruckt, auf so einem großen Schiff mitzufahren. Jetzt bin ich seit über sieben Wochen fast jeden Tag hier auf dem Gelände, wo diese gigantischen Schiffe gebaut werden. Es ist großartig für mich zu sehen, wie ein Schiff aus vielen kleinen Teilen wächst und zu diesem riesigen eisernen Vogel wird, der am Ende auch noch schwimmt. Wunderbar! Ich liebe es, ich liebe diese Werft. Ich sehe diese Arbeit gerne, ich mag den Geruch, ich mag die Geräusche. Ja, ich habe mich verliebt in die Werft."

(aus einem Interview während der Dreharbeiten)

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