Eine Frau sieht rot
Kann man der Krise davonfahren? Zumindest kann man versuchen, Distanz zwischen sich und seine belastende Umgebung bringen. Genau darum geht es Maria, der Hauptfigur in Syllas Tzoumerkas zweitem Spielfilm. Von einem Tag auf den andern packt die gestern noch so liebende Mutter, sehnsuchtsvolle Ehefrau und sich aufopfernde Tochter ihre Sachen und rast im Geländewagen davon. Und hinterlässt verbrannte Erde.
Wie konnte es dazu kommen? In Fragmenten auf verschiedenen Zeitebenen rekonstruiert Tzoumerkas ein Leben, das mit Studium und Familiengründung in wohlgeordneten Bahnen beginnt und doch völlig aus dem Ruder läuft. Man kann in dieser zunächst schwer durchschaubaren, sich erst im Nachhinein erschließenden Erzählweise ein hohes Maß an Realismus sehen: Wer kann schon überblicken, wann und wie sich einschneidende Momente ergeben, die unser weiteres Leben bestimmen und wohin dieses uns treibt? Selbst im Rückblick verschwimmen oftmals die Konturen.
Explosives Gemisch
Marias gut zehn vergangene Lebensjahre verdichten sich zu einem explosiven Gemisch. Am Ende bleibt nur die Flucht, um sich selbst zu behaupten,wenn auch um einen sehr hohen Preis. Und immer wähnt man sich inmitten eines Strudels aus Leidenschaften jeglicher Couleur. Etwa, wenn Maria in ekstatischer Freude durchs Haus tobt, nachdem sie an der Uni angenommen wurde. Im gleichen Übermut schmeißt sie sich mit ihrer Schwester Gogo derb-schlüpfrige Sprüche an den Kopf, als die abgebrochene Jura-Studentin wieder zu Hause einzieht, um im Tante-Emma-Laden der Eltern mitzuarbeiten. Zwischendurch immer wieder gieriger Sex mit dem Ehemann, der das halbe Jahr auf See verbringt. Und wütende Ausfälle gegen Mutter und Vater, als Maria bemerkt, was für ein Schuldenberg auf der Familie lastet.
Hauptdarstellerin Angeliki Papoulia prägt dieses Tohuwabohu mit einer faszinierenden physischen wie emotionalen Präsenz, sodass der Zuschauer auch dann bei der Stange bleibt , wenn er sich aus der Handlung zunächst keinen Reim machen kann. Die Krise Griechenlands fällt zusammen mit Marias Krise. Und zwar nicht allein finanziell und wirtschaftlich. Kurz nach dem Ausbruch der Schuldenkrise setzt der Film ein. Wie im Vorbeigehen ist zu hören, wie binnen weniger Monate zehntausende Kleinbetriebe schließen, Neonazis auf Migranten losgehen und der später gescheiterte Ministerpräsident Giorgos Papandreou vom moralischen Niedergang des Landes parliert. In so einer Situation kann eine Bank schnell zur feindlichen Umgebung werden, zumal dann, wenn sie hart arbeitende Menschen zu Bittstellern degradiert. Und ein mit Nazi-Nippes hantierender Schwager zu einer Hassfigur, die für die Profiteure des Wandelns am Abgrund steht: nicht nur prügelnde Neonazis, sondern auch die bei der letzten Wahl erfolgreichen Rechtspopulisten, die mit den Linkspopulisten von Alexis Tsipras eine Regierung gebildet haben.
Lähmender Knoten
Doch „Blast“ erhebt nicht den Anspruch, der definitive Film zur Griechenland-Krise zu sein. Dafür ist der Fokus im wahrsten Sinne des Wortes viel zu eng auf Maria und ihre Umgebung gerichtet. In bester Dogma-Manier stolpern und rasen wir mit Maria durch ein Leben, das zu einem Knoten aus Abhängigkeiten, Ignoranz und enttäuschten Sehnsüchten mutiert ist. Man muss diesen alles lähmenden Knoten durchschlagen, um nicht seine Selbstachtung zu verlieren. Koste es, was es wolle. Was wiederum einiges über die Stimmung in der griechischen Gesellschaft aussagt.
Um diese Menschen geht es, wenn Politiker und Journalisten öffentlich darüber grübeln, ob und wie die Nation Griechenland im Zeichen von Mega-Schulden und politischem Taktieren ihre Würde bewahren soll. Es finden sich auch subtile Verweise auf die Lähmung einer ganzen Generation, die sich um jegliche Zukunftschance geprellt sieht – versinnbildlicht durch die Rivalitäten zwischen zwei Schwestern, denen trotz Hochzeit der Absprung vom elterlichen Heim bislang nicht gelungen ist. Wenn Maria mit Gogo ironisch eine Losung vom Recht auf Chancengleichheit deklamiert, wirkt dies wie ein ironischer Seitenhieb auf die Massenarbeitslosigkeit, gerade unter jungen Griechen.
Ironie, Overacting und skurrile (Grenz-) Situationen: „A Blast“ lebt von einem pointierten und isolierten, aber in die Tiefe gehenden Blick auf die Krise, die eben auch eine Krise der Menschen ist, anstatt ein umfassendes Porträt der Gesellschaft zu entwerfen. Mancherorts ist dieser Tage von einer „neuen griechischen Welle“ (New Greek Wave) die Rede, getragen von Tzoumerkas und anderen Filmemachern, die die Lage in Hellas eher experimentell aufgreifen. Also von einem künstlerischen Weg, der mit althergebrachten Perspektiven und Mitteln bricht. Selbst wenn es naiv klingt: Möge diese künstlerischen Bewegung bleibende Impulse über die Kulturszene hinaus hinterlassen.
Info:A Blast – Ausbruch (Griechenland, Deutschland, Niederlande 2014), ein Film vom Syllas Tzoumerkas, mit Angeliki Papoulia, Basile Doganis, Maria Filini u.a
Ab sofort im Kino