So unaufgeregt wie Ulrike Herrmann hat lange niemand mehr über das Wirtschaftssystem, in dem wir leben, geschrieben. So fesselnd auch nicht. Wer erfahren will, warum Geld nicht Kapital ist, den setzt „Der Sieg des Kapitals“ auf vergnügliche, kurzweilige Art in Kenntnis.
Im England des 18. Jahrhunderts kam der Kapitalismus zur Welt, als zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte menschliche Arbeitskraft durch Technik ersetzt wurde. Die Löhne waren dort die höchsten der Welt, weswegen es sich „erstmals rentierte, Menschen durch Maschinen zu ersetzen“.
Den „Wirtschaftsweisen“ und anderen Kaffeesatzlesern schreibt Herrmann ins Stammbuch: „Nicht durch niedrige Löhne wird der Kapitalismus angetrieben, sondern durch hohe. Nur wenn die Arbeitskräfte teuer sind, lohnen sich technische Innovationen, die die Produktivität steigern und damit Wachstum erzeugen.“
Irrtümer aufklären
Die Autorin, Wirtschaftskorrespondentin der „tageszeitung“, ausgebildete Bankkauffrau und studierte Historikerin, räumt mit einigen verbreiteten Irrlehren auf. Etwa mit derjenigen, dass Sparen, für den Einzelnen sehr sinnvoll, weil Geld für größere Ausgaben gehortet wird, für ein Gemeinwesen fatal sei. Für den einzelnen Betrieb ist es absolut rational, seine Schulden zu reduzieren, doch für die Gesamtwirtschaft sei es, so Herrmann, verheerend, denn nur Investitionen schaffen neue Aufträge.
Ohne Gewinnerwartung investiere kein Kapitalist, hohe Gewinne sind also Antrieb seines Handelns. Über Steuern profitiere der Staat davon. Wenn die Gewinne allerdings zu hoch sind, neigten ihre Profiteure dazu, Geld zu horten und auf noch bessere Zeiten zu warten. Ergebnis: Es fehle „Nachfrage, so dass sich Investitionen in die Realwirtschaft nicht mehr lohnen. Nur die Spekulation kann noch suggerieren, dass die Vermögen trotzdem steigen“, schreibt Herrmann.
Die Autorin erklärt auch, dass häufig von Märkten gesprochen werde, die keine seien, etwa die Landwirtschaft, das Wohnen, der Finanzsektor, oder Gesundheit: „Gesundheit hat keinen Preis. Für jeden Kranken ist sein Leben das höchste Gut, und er ist daher erpressbar. Die Verhandlungsmacht würde allein bei den Ärzten und Pharmafirmen liegen, wenn es keine soziale Kontrolle gäbe.“ Zudem trete bei der Gesundheitsversorgung ein Problem auf, das sich auch bei den Eisenbahnen zeige: „Für private Firmen würde es sich nicht lohnen, spärlich besiedelte Landstriche mit einem Krankenhaus zu versehen. Also muss erneut der Staat eingreifen, um eine flächendeckende Infrastruktur sicherzustellen.“
Selten hat der Rezensent ein Buch über wirtschaftliche Fragen in die Hand bekommen, das so viel Substanz hat und so gut geschrieben ist. Zudem packt die Autorin manch Überraschendes aus. Wer weiß schon, dass die früheste erhaltene Literatur keine hellenischen Gedichte, sondern mesopotamische Schuldbücher sind? In jedem Fall hat Hermann ein Buch vorgelegt, in das man hier und da wieder hineinblicken möchte. Deshalb ist es schade, dass es kein Register gibt.
Ulrike Herrmann: „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“, Westend-Verlag, Frankfurt am Main 2013, 288 Seiten, 19,99 Euro. ISBN 978-3-86489-044-4
Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.