Man erfährt in der Kanzler-Biographie von Stefan Kornelius kaum etwas über Angela Merkel, das man nicht in den bereits vorliegenden Lebensbeschreibungen von Jaqueline Boysen, Margaret Heckel, Dirk Kurbjuweit, Gerd Langguth, von Hugo Müller-Vogg, Evelyn Roll und Hajo Schumacher gelesen hat. Zudem fehlen in diesem Spar-Buch ein Register, Fußnoten, Fotos und ein Verzeichnis der Quellen.
Der Außenpolitik-Chef der „Süddeutschen Zeitung“ gibt an, dass er mit 20 Personen „zum Teil mehrere intensive Interviews“ geführt habe. Nur mit wem? „Nahezu alle Gesprächspartner“ hätten um Anonymität gebeten. Kornelius, wohin das Auge blickt.
Merkel macht Europa „deutscher“
Es ist ja auch alles so easy. „Wirklich große innere Probleme plagen Deutschland nicht“, weiß der SZ-Journalist, der vor seiner Arbeit in der Bundeshauptstadt Korrespondent in den USA war. In der Eurozone sieht es, so sein Befund, dagegen dramatisch anders aus. Kornelius nennt den Vorwurf, den sich die Kanzlerin in Brüssel zugezogen hat, beim Namen. Nämlich, dass sie „Europa deutscher machen wolle“. Um so ziemlich jeden Preis, wie jüngst noch der frühere EU-Kommissar Günter Verheugen deutlich gemacht hat.
Soros: „Vom Rest Europas nicht geliebt“
Kornelius zitiert den US-amerikanischen Finanzjongleur George Soros mit den Worten, Deutschland werde als imperiale Macht „vom Rest Europas nicht geliebt oder bewundert“. Im Gegenteil: Es werde „Hass und Widerstand erleben, weil es als unterdrückende Macht wahrgenommen wird“. Dann folgt ein böser Vorwurf: „Was zwei Mal militärisch gescheitert war, sollte nun auf dem kalten Weg mit Hilfe von Euro und Cent gelingen – der teutonische Imperialismus, ein genialer Masterplan.“ In einem Satz: „Eine Wiederholung von Versailles – diesmal nur mit verdrehten Rollen?“
Zuzuspitzen oder Zugespitztes wiederzugeben, gilt als journalistische Kunst. Doch wer so schweres Geschütz auffährt, besser: auffahren lässt, sollte sich mit den Argumenten auseinandersetzen, sie gewichten. Nichts von alledem: Es geht zum nächsten Kapitel, zum „behüteten Leben“ der kleinen Angela Kastner, die später studiert und Diplomphysikerin wird. 35 Jahre hat sie in der DDR gelebt, „war keine Widerstandskämpferin, keine Oppositionelle, obgleich sie Kontakte zu Kirchenkreisen in Berlin pflegte“. In der Wendezeit findet sie zur CDU und engagiert sich.
Die Karriereleiter hinauf
In dichter Folge steigt sie die Karriereleiter nach oben, mit einem feinen Gespür für Trends und Entwicklungen. Atomenergie ja, Atomenergie nein. Außenpolitisch weiß sie, was die USA von ihr erwarten. Allzu eigenständiges Wirken sei von ihr nicht zu erhoffen, deutet Kornelius an.
Derzeit sieht es nicht so aus, dass die gegenwärtige Koalition aus Union und FDP den Wahltag im Herbst unbeschadet übersteht. „Das Mädchen“, wie Helmut Kohl sie nannte, lässt sich nicht gern in die Karten sehen. Sie reagiert lieber, als dass sie nach vorne prescht. Dieser eher moderierende Stil sei ihre Stärke und ihre Schwäche zugleich.
Noch stehe sie auf dem „Höhepunkt ihrer Macht“. Und will sie erhalten. Nach der Lektüre des Buches hat man einen kleinen, wenn auch nicht tief schürfenden Einblick in ihr Leben. Und wer es mag, kann das Ganze in einem Hörbuch von 450 Minuten Länge abspulen lassen. Kostet aber extra.
Stefan Kornelius: „Angela Merkel. Die Kanzlerin und ihre Welt“. Hoffmann und Campe, Hamburg 2013, 284 Seiten, 19,99 Euro. ISBN 978-3-455-50291-6
Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.