Der NSA-Skandal hat offenbart: Die Bürger werden in großem Ausmaß überwacht. Verträgt sich das mit den demokratischen Grundwerten in den westlichen Staaten? Darüber diskutierten Thomas Meyer und Karin Priester am Donnerstagmorgen auf der Frankfurter Buchmesse.
„Edward Snowden hat einen Schleier weggerissen“, sagte Thomas Meyer, Chefredakteur der Monatszeitschrift „Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte“. Dadurch sei ein Doppelstaat in Großbritannien und den USA sichtbar geworden: Ein Schattenreich, das die Staaten aufgebaut hätten.
Dies sei jedoch kein neues Phänomen, betonte die Soziologin Karin Priester. Staaten im Staat , die keiner demokratischen Kontrolle unterworfen gewesen seien, habe es auch in der Vergangenheit schon gegeben und nicht nur in Diktaturen. Eine „absolute Privatheit der Privatsphäre“ sei eine Illusion. Doch vielen Menschen erscheine es in den Zeiten des Internets zunehmend unproblematisch, Teile ihres Privatlebens offen zu legen. Es herrsche die Annahme vor, man könne gar nicht anders handeln, wenn man wahrgenommen werden wolle.
Rechte werden der Sicherheit geopfert
Sind Demokratie und Rechtsstaat vereinbar damit, dass sich große Bereiche des staatlichen Handelns der demokratischen Kontrolle entziehen?“, wollte Meyer wissen. „Ganz klar: nein“, antwortete Karin Priester. Denn heute würden Daten präventiv gesammelt, ohne richterlichen Beschluss. Es habe ein schleichender Verfassungswandel stattgefunden. Was im Rechtsstaat einst als Standard gegolten habe – das Recht auf den Schutz der Privatsphäre – werde nun der Sicherheit untergeordnet.
Meyer erinnerte an den deutschen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, der die Sicherheit zu einem „Obergrundrecht“ erklärt habe. Eine „bedenkliche Kehrtwende“ sei das, erwiderte die Soziologin. Denn damit suggeriere Friedrich, dass der Staat Sicherheit garantieren könne, wenn die Bürger dafür auf Freiheitsrechte verzichten. Doch in der Realität sei das nicht möglich.
Nur spärliche Proteste
Dennoch hielt sich die Empörung der Öffentlichkeit nach den Enthüllungen über die Spähprogramme Prism und Tempora in Grenzen. Viele Menschen hätten sie herablassend kommentiert, stellte Thomas Meyer fest. Ihre Reaktion sei gewesen: „Wer sich mit dem Internet auskennt, den können die Berichte doch nicht überraschen.“
Die virtuelle Überwachung sei etwas anderes, „als wenn ein Mann im Trenchcoat hinter mir her läuft“, sagte Priester. Niemand wisse, ob ihn die Observation betreffe oder bedrohe. Deshalb könnten die Menschen das Thema leicht verdrängen.
Whistleblower: wichtig, aber schutzlos
Dass die amerikanische und europäische Öffentlichkeit überhaupt von den geheimen Aktivitäten der Sicherheitsbehörden erfahren hat, ist sogenannten Whistleblowern wie Julian Assange, Bradley Manning oder Edward Snowden zu verdanken. „Wie müssen wir mit Whistleblowern umgehen?“, fragte Meyer am Ende der Veranstaltung.
Sie hätten eine enorm wichtige Funktion, antwortete Priester. „Es gibt moralische und ethische Standards, die nicht unterlaufen werden dürfen.“ Dennoch würden Menschen, die aus diesem Grund Geheimnisse verraten, oft als Nestbeschmutzer abgestempelt und verfolgt. Es herrsche der Gedanke vor, dass man Unrecht nicht widersprechen dürfe, wenn man dadurch ein übergeordnetes Interesse gefährde – zum Beispiel das Ansehen des eigenen Landes. „Es gibt Mehrheitszwänge, und es braucht großen Mut, sich dagegen aufzulehnen“, betonte Priester.
arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.