Tingeln von Asylbewerberheim zu Asylbewerberheim. Der 1971 in Talinn geborene Andrej Iwanow karikiert gesellschaftliche Verhältnisse und nimmt Menschen aufs Korn, die jede Orientierung verloren haben und versuchen, sich mit kleinen und großen Diebstählen über Wasser zu halten.
Da ist der Russe Kornej, der auf verkanntes Genie macht, ein Künstler, der „in Wirklichkeit ein banaler Alkoholiker“ ist. Er malt immer denselben Hügel, mal mit einer Kirche, mal mit einer Mühle, mal einer Kuh oder einem Pferd. Den Nordeuropa-erfahrenen Leser erinnert das an den Vater von Mankells legendärem Kommissar Wallander, der ständig dieselbe Landschaft malt, meist mit Auerhahn, auf besonderen Wunsch auch ohne.
Das große Glück in den USA
Die Hauptpersonen in Iwanows Epos heißen Hanuman und Sid, der eine ein Inder, der andere ein Este. Beide haben es aus ihren Heimatländern bis nach Dänemark geschafft. Der Traum: In den USA das große Glück machen, zur Not auch im Süden Amerikas oder, wenn alle Stricke reißen, auf der dänischen Insel Lolland.
Viele Szenen sind urkomisch, etwa wenn die beiden Protagonisten sich „Gras“ in einem „geheimen Coffeeshop“ besorgen, einer merkwürdigen Bude: „Draußen überall verrostete Motorroller und Fahrräder von solchen, die mal gekommen und offensichtlich nicht mehr weggekommen waren.“
Wie sollen Illegale steinreich werden?
Die Helden kommen nicht hoch, sie verjubeln jeden Cent, dessen sie habhaft werden. „Prostituierte, Drogen, Alkohol“, sagt der Inder resigniert: „Könnte man ohne diese Sachen leben, wäre ich schon lange Millionär“. Der Balte versteht nicht immer, was den Freund umtreibt, der mit penetranten Leidenschaft Oberhemden kauft: „Er sparte doch für ein Ticket nach Argentinien! Okay, von Hehlern kaufen, das ist echter Rabatt, das versteh ich. Hätte er einen kleinen Armenier gebeten, ihm das Hemd zu klauen, ja, für ein Drittel des Preises. Oder selber, hätte er es selber geklaut. Aber warum kaufen?! Fünfhundert Kronen! In unserer Lage!“
Wie sollen Illegale – dahin gehen ja ihre Träume – reich oder gar steinreich werden? Die Chance haben sie nicht im Leben und auch nicht in Iwanows Roman. Ab der Seite 150, wo auf eine Tat anderthalb Seiten Räsonnements folgen, gehen dem Verfasser so langsam die Ideen aus. Die Puste, die der Schwede Jonas Jonasson mit seinem „Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ jüngst unter Beweis stellt, bringt der russisch schreibende Este nicht auf.
Ärgerlich ist es – an diesem Punkt ist der Autor selbst Opfer –, dass an einer letzten Durchsicht des Manuskripts gespart wurde. In zahlreichen Fällen wird eine wörtliche Rede mit Anführungszeichen eingeleitet, am Satzende werden sie nicht geschlossen. Leserinnen und Leser werden hier unnötig aus dem Erzählfluss herauskatapultiert.
Am Ende reicht es bei den Asylsuchenden nicht für die USA und nicht einmal für Argentinien. Nur für Lolland. Sid und Hanuman klettern in einen Bus, der sie auf die viertgrößte Insel des dänischen Königreichs bringen wird. Dort werden sie dann weiterkiffen.
Andrej Iwanow: Hanumans Reise nach Lolland. Roman, Kunstmann: München 2012, 399 Seiten, 19,95 Euro. ISBN 978-3-88897-777-0
Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.