Den blutigen Zerfall Jugoslawiens gerade in seiner menschlichen Dimension zu deuten, wird nicht nur die Kunst noch über Generationen beschäftigen. Wer genau hinsieht, erkennt, dass die Grenze zwischen Schlächtern und Opfern häufig unklarer verläuft, als zeitgenössische Medien Glauben machten.
So ist es naheliegend und zugleich mutig, dass sich das Kino Südosteuropas dieser Aufgabe immer wieder annimmt. Nicht nur in Serbien lassen Debatten über sogenannte Kriegshelden und Kriegsschuld immer wieder die Emotionen hochkochen.
Der serbische Regisseur Srdan Golubovic, der vor einigen Jahren mit dem Schuld-und-Sühne-Kammerspiel „Klopka“ („Die Falle“) internationale Erfolge feierte, verarbeitet in seinem Drama „Circles“ („Kreise“) einen Fall, der sich 1993 tatsächlich in einer ereignet hat. Es stimmt nicht nur angesichts der Ukraine-Krise, die Freund-Feind-Schemata in einem labilen Staat wieder salonfähig zu machen droht, nachdenklich.
Die Szenerie an diesem sonnigen Frühlingstag mutet so profan an, dass niemand vermuten würde, dass gleich ein brutalstmöglicher Exzess losbricht. Der bosnisch-serbische Milizionär Todor verlangt von Kioskbesitzer Haris Zigaretten, bekommt sie aber nicht, weil sie ausverkauft sind. Einen Augenblick später treten die Soldaten den „Scheißmuslim“ fast zu Tode. Bis Marko, der eben noch mit seinem bosnischen Freund Nebosja vor einem Café lümmelte, als einziger auf dem wuseligen Marktplatz dazwischengeht, um seine Kameraden zurückzupfeifen. Diesen Einsatz bezahlt er mit seinem Leben.
Folgen der Courage
Klassische Erzählweisen würden womöglich in Rückblenden langsam auf diesen Moment hinarbeiten und davon berichten, wie Marko zu dem Menschen wurde, der in Zeiten alltäglicher Verrohung Zivilcourage beweist. Auch der 1972 geborene Golubovic stellt diesen Mut in den Vordergrund. Ihm geht es allerdings darum, zu zeigen, welche Folgen die Tat für Markos Umfeld hatte. Jene Menschen,die ihm besonders nahe waren und nach seinem Tod ein unsichtbares Band bilden, werden bis zum Äußersten von Selbstzweifeln und Schuldgefühlen geplagt.
Zu diesen Grüblern zählt Markos Vater Ranko. Kann man einem Mörder und dessen Familie vergeben,wenn der Tod des eigenen Sohnes zwölf Jahre später niemanden interessiert?, fragt er sich. „Wirft man einen Stein ins Wasser, dann entsteht etwas“, sagt er am Küchentisch zu Nebosja, der inzwischen als Chirurg in Belgrad lebt. „Aber mich bedrückt etwas. Ich habe das Gefühl, er ist einfach versunken. Das macht mir Angst. Dass einer etwas Gutes tut und es keinen interessiert.“
Ablenkung findet der mürrische Einzelgänger in einem kräftezehrenden Tagwerk: Außerhalb der Stadt baut er eine Kirche wieder auf. Doch genau in diesem Refugium holt ihn die mörderische Vergangenheit wieder ein. Der völlig ahnungslose Sohn eines jener Soldaten, die Marko auf dem Gewissen haben, bittet ihn um Arbeit. Nicht anders ergeht es Nebosja,der sich nie verziehen hat, Marko im Stich gelassen zu haben. Nach einem Autounfall landet Todor auf einem OP-Tisch. Er hätte es in der Hand, den wie seinerzeit sardonisch grinsenden Veteranen um die Ecke zu bringen. Tod oder Leben: Welche Entscheidung ist mutiger?
Die Geschichte von Haris führt nach Halle an der Saale, wo er sich in der Platte einen bescheidenen Wohlstand als Familienvater und Fabrikarbeiter geschaffen hat. Doch seit jenem Tag im April meint er, sein Leben sei nur geborgt. Als Markos Freundin Nada mit ihrem Sohn bei ihm Zuflucht vor ihrem brutalen Ehegatten sucht, kann er sich endlich beweisen.
Berührendes Schweigen
Mit Aleksandar Bercek (Ranko) , Nebojsa Glogovac (Nebosja) und Hristina Popović (Nada) hat Golubovic einige der bekanntesten Gesichter des neueren serbischen Kinos um sich geschart. Gerade Ranko, wie er, ohne aufzublicken in greller Sonne die Steine klopft und insgeheim jeden Moment zwischenmenschlicher Nähe wieder zu genießen lernt, berührt zutiefst. Auch Glogovac überzeugt wie schon in „Klopka“ und „Belgrade Radio Taxi“ als melancholischer Zauderer. Bei der Berlinale erlangte der Film im vergangenen Jahr den Preis der Ökumenischen Jury. Serbien schickte ihn, allerdings erfolglos, ins Rennen um den Oscar.
Und doch hinterlässt er teilweise einen faden Beigeschmack. Bietet die sonnendurchflutete bosnische Landschaft mit den dunklen Schatten der Vergangenheit eine fesselnde Doppelbödigkeit, sind die Episoden in Deutschland von einer bisweilen schwer zu ertragenden Hölzernheit. Was weniger am trostlosen Neubauviertel-Ambiente, sondern an der Führung der Darsteller und an deren Text liegt. Von der gleichsam minimalistischen und klaustrophobischen Intensität von „Klopka“ ist dieser Film gerade in jenen Momenten meilenweit entfernt.
Nichtsdestotrotz wirft „Circles“ einen vielsagenden und, insgesamt betrachtet, dramaturgisch überzeugenden Blick auf die mitunter unerwarteten Kreise, die ein gewaltsam beendetes Leben ziehen kann. Und damit auch auf jene jüngere Vergangenheit, die nicht nur Südosteuropa bis heute in Atem hält.
Info: „Circles“ („Krugovi“, Serbien 2013), ein Film von Srdan Golubovic, mit Aleksandar Bercek, Leon Luvev, Nebojsa Glogovac, Hristina Popović, Vuk Kostić u.a., 112 Minuten
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