Kultur

Ein Mann verliert seine Träume

von Matthias Dohmen · 15. Januar 2014

Die Novemberrevolution 1918/1919 aus einer ungewohnten Perspektive betrachtet: Das ist eine der Seiten der Erinnerungen des Schriftstellers, Politikers und Wirtschaftsmenschen Franz Jung, die voller Überraschungen stecken.

Seine Jugend im Oberschlesischen, seine Tätigkeit in den Wirren nach dem Ersten Weltkrieg, in der Sowjetunion, zu Weimarer Zeiten oder im antifaschistischen Widerstand: Jung erzählt von seinem Leben im 20. Jahrhundert. Jahr um Jahr verliert er seine Illusionen in die Dichtung und die Politik und stürzt sich doch immer wieder in neue Abenteuer.

„Der Gegner“ – Publizieren gegen Hitler

Der 1888 geborene Jung hat ein opulentes Werk hinterlassen, das hauptsächlich bei Nautilus erschienen ist. Zu seinen großen Verdiensten gehört die Herausgabe der Zeitschrift „Der Gegner“, mit der er Anfang der 1930er-Jahre, als „das Gewitter über Deutschland bereits im Anzug“ war, Hitler-Gegnern eine Plattform jenseits der eingefahrenen Parteibewegungen schaffen wollte. Dafür arbeitete er mit so unterschiedlichen Charakteren wie den Schriftstellern Ernst Fuhrmann und Adrien Turel, dem Dada-Künstler Raoul Hausmann und dem Offizier und Widerstandskämpfer Harro Schulze-Boysen zusammen.

Man könnte weinen, wenn man seine Schilderung der bitteren Zeit rund um die so genannte Machtergreifung liest. Zu den Demonstrationen am 1. Mai 1933 hatten noch unisono NSDAP und ADGB aufgerufen, einen Tag später waren die Gewerkschaftshäuser besetzt.

Hoffnungen und Illusionen

Die Illusion vom siegreichen Sozialismus hatte Jung damals schon hinter sich. 1921 ging er zum sozialistischen Aufbau in die junge UdSSR, bei dem er bei der Firma Ressora fürchterliche Erfahrungen mit der sich etablierenden Bürokratie machte und schließlich auf abenteuerliche Weise fliehen musste.

In der deutschen Politik engagierte er sich 1918/19 bei der sich konstituierenden KPD, schloss sich kurz darauf der anarchosyndikalistischen KAPD an, opponierte gleich 1933 gegen den Faschismus und wurde 1936 von der Gestapo verhaftet, arbeitete 1937 von Prag aus an den „Deutschland-Berichten“ des SPD-Vorstands mit, baute gegen Ende des Krieges Beziehungen zu Wilhelm Canaris auf. 1948 reiste er in die USA aus, die er ein paar Jahre später aber wieder verließ. Zu seinem schriftstellerischen Werk gehören Romane, Dramen, Novellen und Erzählungen, Reiseberichte und politische Schriften.

Er hat sie alle gekannt: Gottfried Benn, dem er ein kleines Denkmal gesetzt hat, und Erwin Piscator, der weniger gut wegkommt, und zahlreiche Schauspieler und Selbstdarsteller vor allem der Weimarer Zeit. Manches Urteil etwa über das Proletarische Theater mag einseitig und überspitzt sein. Wer indes dieses 20. Jahrhundert, seine Hoffnungen und Illusionen besichtigen will, um den Titel der Erinnerungen von Heinrich Mann aufzugreifen, ist mit diesen Erinnerungen gut bedient. Henry Miller hat über ihn gesagt: „Franz Jung impressed me deeply. What a warm wise joyous man.“ Jung hat mich tief beeindruckt. Was für ein herzlicher, kluger und fröhlicher Mann.

Franz Jung, Der Weg nach unten. Aufzeichnungen aus einer großen Zeit. Nautilus-Verlag, Hamburg 2013, 441 Seiten, 18 Euro. ISBN 978-3-89401-777-4

 

 

Autor*in
Matthias Dohmen

Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.

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