Kultur

Ein Horrorszenario

von Matthias Dohmen · 25. Juni 2014

„Der stille Putsch“ heißt Jürgen Roths Kampfschrift über eine Elite aus Wirtschaft und Politik, die „sich Europa und unser Land unter den Nagel reißt“. Roth spitzt zu, wie er es schon in seinen Büchern „Gangsterwirtschaft“, „Gazprom – Das unheimliche Imperium“ und „Spinnennetz der Macht“ getan hat.

Der Journalist zeigt in seinem neuesten Buch, wie Brüsseler Bürokraten, die Unternehmensberater von McKinsey und die „Troika“ aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und EU-Kommission an allen Parlamenten vorbei Sozialstandards zu deregulieren versuchen. Für ihn handelt es sich dabei summa summarum um einen „stillen Putsch“.

Lohnsklaven, angefordert und abbestellt

Roth spricht von einer „geheimen Elite aus Wirtschaft und Politik“. Ihre Opfer: Die Menschen – aktuell vor allem in Südeuropa –, die vom Abbau der Arbeits- und Sozialstandards betroffen sind. Auch hierzulande wittert Roth Gefahr. Gegenkräfte sieht er hauptsächlich bei den Gewerkschaften.

Was droht uns? Roth meint, die Maßnahmen der spanischen Regierung, die auf Druck der allmächtigen „Troika“  zustande gekommen seien, wären ein „Testlauf für ein Europa, in dem Beschäftigte keine Rechte haben, sondern als Lohnsklaven von Unternehmen angefordert und abbestellt werden können“, wie er in einer Presseerklärung der IG Metall heißt. Es gibt Unternehmerverbände und Politvordenker in Europa, die in die beschworene Richtung denken.

Beim TTIP-Abkommen ist Gefahr im Verzug

Das ist gefährlich. Doch noch ist es nur eine Absicht und Roth gehen die Pferde durch, wenn er sie zur Tatsache erklärt. Das Problem daran ist, dass bei dem bisweilen schrillen Ton wichtige Passagen des Buches übersehen werden könnten. So sind Roths Vorbehalte gegenüber dem derzeit verhandelten Freihandelsabkommen zischen der EU und den USA alles andere als abwegig.

Das sogenannte TTIP-Abkommen erklärt „Privat vor Staat“ zur Maxime. „Von der Kommune bis hin zur europäischen Ebene sollen künftig – von hoheitlichen Dienstleistungen wie Polizei und Justiz einmal abgesehen – Güter, Dienstleistungen oder Dienstleistungssysteme im Wettbewerbsverfahren ausgeschrieben werden“, zitiert Roth die Gewerkschaft verdi.

Da ist Gefahr im Verzug. Vor allem, wenn Konzernen das Recht zugesprochen wird, die TTIP-Vertragsstaaten, etwa die Bundesrepublik, vor einem Schiedsgericht zu verklagen, falls eine „direkte oder indirekte Enteignung“ drohe. Damit würde eine transnationale Rechtsstruktur geschaffen, von der niemand sagen kann, wer sie kontrollieren soll. Sie könnte die Entscheidungen frei gewählter Parlamente außer Kraft setzen – etwa bei den Sozial- oder Umweltstandards. Das ist in der Tat ein Horrorszenario.

Jürgen Roth: „Der stille Putsch. Wie eine geheime Elite aus Wirtschaft und Politik sich Europa und unser Land unter den Nagel reißt“, Heyne Verlag, München 2014, 319 Seiten, 19,99 Euro. ISBN 978-3-453-20027-2

Autor*in
Matthias Dohmen

Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.

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