Kultur

Ein großer Schriftsteller in kleinen Texten

von Die Redaktion · 4. September 2007

Zeit seines Lebens habe er "in jedem seiner Bücher gegen Unrecht und unnötiges Leid angeschrieben", wird Leonhard Frank im Nachwort zitiert. Am 4. September 1882 kommt er als viertes Kind eines Schreinergesellen in Würzburg zur Welt. Die Herkunft aus dem ärmlichen, fremdbestimmten Milieu wird für Franks Texte stets prägend bleiben. Aus ihr entspringt sein Mitgefühl für fremde Not. "Wie darf das sein, daß solche Kinder in Schmutz und Not hineingeboren werden, während andere - wie jene ohne Verdienst und Schuld - im sonnigen Kinderzimmer eintreffen ...", heißt es in der 1919 entstanden Erzählung "Kindheit".



Starautor der Weimarer Republik


Während des ersten Weltkrieges lebt der überzeugte Pazifist Leonhard Frank im Schweizer Exil. Die Grausamkeit des Krieges verarbeitet und thematisiert er in mehreren Erzählungen. Leonhard Frank bekennt sich zu revolutionären sozialistischen Ideen, schließt sich aber nicht der proletarisch-revolutionären Bewegung an. Zurückgekehrt nach Berlin gehört er ab Mitte der 20er Jahre zu den bekanntesten "und wohlhabendsten Autoren der Weimarer Republik", erläutert Herausgeber Dieter Sudhoff.

Die Not der Armen lässt Leonhard Frank aber weiterhin nicht los. Genau wie die autoritären Strukturen der Gesellschaft. Psychische und physische Gewalt die Hierarchien und Erziehungssysteme ausüben, sind Thema zahlreicher Erzählungen. So taumelt der Bürgersohn Jürgen Kolbenreiher in der Erzählung "Kindheit" im "von Familie und Schule gebildeten lückenlosen Kreis der Notzucht" hin und her. Und letztlich gelingt es nicht "Jürgens vergewaltigte Seele zu heilen: das Gespenst des Vaters zu vertreiben, die Macht der Professoren und der Tante zu brechen".

Leonhard Frank verbindet in seinem Werk die beiden Prinzipien der "Liebe zu den Menschen" und die "menschliche Liebe", so Dieter Sudhoff. Er glaubt daran, dass der Mensch gut sei und nur durch die Verhältnisse schlecht werde. "Man muß unausgesetzt wach sein, sonst wird man ein immer größerer Schuft", heißt es in der Erzählung "Jünglinge" von 1922.

Exil und Vergessenheit

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten zwingt Leonhard Frank in sein zweites Exil. Er lebt zunächst in Paris. Von dort flieht er 1940 in die USA. Als er 1950 nach Deutschland zurückkehrt, muss Leonhard Frank feststellen, dass er in Vergessenheit geraten ist.

Er setzt sich mit der Naziherrschaft und den Spuren die sie hinterlassen hat auseinander. "Daß Nazis ... auch nach der Besetzung des Landes in leitenden Stellungen verbleiben konnten, war für ihn zuviel gewesen", steht in der 1954 gedruckten Erzählung "Das Porträt". Und im 1957 entstandenen Text "Der Heiratsvermittler" schreibt er: "Man fängt einen Krieg um die Weltherrschaft an, zerstört ganz Europa, bringt auf möglichst schauerliche Weise zwanzig bis dreißig Millionen Menschen um, dann wohnt man in der Scheune".

Seine Stimme wird aber kaum gehört. Er resigniert und beschränkt sich darauf, seine Texte radikal zu überarbeiten. Diese generelle Überarbeitungspraxis ist, so Sudhoff, "aus heutiger Sicht sehr zu bedauern".

Ehrungen im geteilten Deutschland und erneutes Vergessen

Da Franks Texte für die Tagespresse vielfach Vorstufen zu seinen Romanen sind, ist es gelungen, viele Erzählungen in ihrer bisher unbekannten Erstfassung zu finden. Der Aufbau Verlag hat dazu zahlreiche Zeitungen und Journale gesichtet. Die im Sammelband "Fremde Mädchen" vereinten Texte entstanden sich über einen Zeitraum von fast 50 Jahren. Sie veranschaulichen Franks Entwicklung von der 1912 erschienen Erzählung "Der Hut" bis zum in seinem Todesjahr 1961 veröffentlichten Text "Besuch im Kloster".

Vor seinem Tod wird Leonhard Frank in beiden deutschen Staaten geehrt. Während der Westen seine pazifistische Haltung würdigt, hebt der Osten Franks Bekenntnis zum Sozialismus hervor. In der DDR sei Franks Wirkung beim Publikum allerdings breiter gewesen als in Westdeutschland, erläutert Dieter Sudhoff. Im Laufe der Jahre ist der Schriftsteller auf beiden Seiten in Vergessenheit geraten.

Der Sammelband des Aufbau Verlages ist ein wichtiger Beitrag Leonhard Frank wieder einem größeren Publikum nahe zu bringen. Die Texte stellen einen Erzähler vor, der sich mit den Problemen der Zeit auseinandersetzt. Dieter Sudhoffs Nachwort rundet dies ab.

Birgit Güll



Leonhard Frank: "Fremde Mädchen. Geschichten der Leidenschaft", herausgegeben von Dieter Sudhoff, Aufbau Verlag, Berlin, 2007, 317 Seiten, 18,95 Euro, ISBN 978-3-351-03084-1

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