Kultur

Ein ganz normaler Prozess?

von Anke Schoen · 20. November 2008
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Politiker und Richter werden nicht müde zu betonen, dass das Verfahren gegen die Baader-Meinhof Gruppe ein ganz normaler Prozess sei. Dass dieser alles andere als das ist, beweist allein schon die extra für die Verhandlungen gebaute Mehrzweckhalle auf dem Gelände der Stuttgarter Justizvollzugsanstalt. Kosten: 12 Millionen DM. Das Verfahren selbst dauert länger als zwei Jahre. Es ist somit eines der aufwändigsten und dauerhaftesten der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte.

Lange gelten die Tonbandmitschnitte des Stammheim Verfahrens als vernichtet. Doch dann werden sie bei einem Routinebesuch im Keller des Oberlandesgericht Stuttgart zufällig wiedergefunden. Der freie Journalist Maximilian Schönherr stellt aus O-Tönen der Angeklagten, Richter und Verteidiger ein bewegendes Tondokument zusammen. Es ist mit Hintergrundinformationen zu den Akteuren angereichert, die Stammheim gekonnt zu einer politischen Schaubühne umfunktionieren

Im RAF-Jargon anklagen

"Heil, Dr. Prinzig!", entfährt es dem Verteidiger von Jan-Carl Raspe, Rupert von Plottnitz. Und dies ist nur eine Entgleisung von vielen. Klaus Jünschke, Ex-Terrorist und am 131. Prozesstag als Zeuge geladen, springt über den Tisch, wirft den vorsitzenden Richter Theodor Prinzing zu Boden und schreit: "Für Ulrike, Du Schwein!". Dieser Jargon ist besonders unter den Angeklagten verbreitet. "Du wirst nicht vergessen, Prinzing", höhnt auch Gudrun Ensslin. Und Ulrike Meinhof: "Jetzt hast du Deinen Schauprozess durch."

Das Verhalten ändern

Eine andere Ulrike Meinhof erlebt der Zuhörer am 41. Prozesstag. Ihre Aussage, ein Statement zur in der Haft entstandenen Gruppensolidarität, ist besonders aufschlussreich. Es macht deutlich, wie weit sie sich innerlich von der RAF entfernt hat. Der vermeintliche Hilferuf der Journalistin wird vom Gericht nicht als Ausstiegsangebot angesehen. "Die Frage ist, wie kann ein isolierter Gefangener, den Justizbehörden zu erkennen geben - angenommen dass er es wollte - dass er sein Verhalten geändert hat. Wie?" Anschließend thematisiert sie die schlimme Isolationshaft: "Das ist Folter, exakt Folter."

Dem Strafvollzug entgehen

Ulrike Meinhof soll das Ende des Prozess nicht mehr erleben. Sie wird tot in ihrer Zelle in Stuttgart Stammheim aufgefunden. Der Angeklagte Holger Meins erlebt den Prozessauftakt nicht. Er verstirbt an den Folgen eines radikalen Hungerstreiks. Die übrigen Angeklagten, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe werden zu dreimal lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt. Nach der gescheiterten Landshutentführung, ihrer letzten Hoffnung auf Freipressung durch die zweite Generation der RAF, gehen auch sie in den Tod.

Die Tonbandaufnahmen sind ein wichtiges Dokument deutscher Nachkriegsgeschichte. Die Kommentare zwischen den O-Tönen erweisen sich als hilfreich, um das Geschehen einordnen zu können. Für den Hörer ist es dennoch schwierig, die einzelnen Redner zu identifizieren.


Maximilian Schönherr: Die Stammheim-Bänder. Baader- Meinhof vor Gericht, Tondokument mit O-Tönen von Baader, U. Meinhof u. a., CD, 80 Minuten, Audio Verlag, Berlin 2008, 15,99 Euro, ISBN 978-3-9813-786-7

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Anke Schoen

ist freie Journalistin.

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