Neben Jamie Oliver ist Nigel Slater die prominenteste Gourmet-Stimme Großbritanniens. Unter dem hintersinnigen Titel "Halbe Portion - Wie ich lernte, die englische Küche zu lieben" erschien seine Autobiografie in Deutschland. Auf ihr beruht das Drehbuch von "Toast". Ganz aus der Perspektive des Kindes schildert der Film die ungewöhnliche Geschichte eines Heranwachsenden.
Schon die ersten Szenen machen deutlich, warum sich der junge Nigel in kulinarische Traumwelten flüchtet, um nicht für den Rest des Lebens seinen Geschmackssinn zu ruinieren: Im Wolverhampton der 60er-Jahre schaffen knurrige Familienväter das Geld heran, während die Frauen ein liebevolles Heim und das tägliche Mahl bereiten. Nicht so im Hause der Slaters. Nigels Mutter scheitert an den einfachsten Dingen, lässt sogar Konserven im Wasserbad anbrennen. Aus Verlegenheit serviert die zunehmend hinfällige Asthmatikerin leicht angekokelte Buttertoasts.
Wenn Essen wehtut
Doch irgendwann stehen Nigel die Brotlappen bis zum Hals. Während seine Altersgenossen nachts unter der Bettdecke die Erotik entdecken, blättert er in Kochbüchern. Unter seiner Anleitung fabriziert die völlig hilflose Mrs Slater Spaghetti Bolognese, doch weder sie noch ihr Gatte kriegen das "exotische Zeug" herunter. Wieder einmal schlägt die Stunde des Toasts. Es ist geradezu tragisch: Erst mit dem Tod der innig geliebten Mutter wenden sich die kulinarischen Dinge zum Besseren.
Erzählstränge wie ein Vater-Sohn-Konflikt oder Identitätskrisen junger Erwachsener mögen altbekannt sein. Doch eigentlich spielen sie nur eine Nebenrolle, denn Nigel strebt nach Höherem: dem ultimativen Geschmack. Anders gesagt: Ist dieser entdeckt, erledigt sich der Rest von selbst - die Anerkennung des Vaters und der Weg in ein selbstbestimmtes Leben, zum Beispiel als Küchenchef.
Den Weg dahin bahnen nicht zuletzt die Kochkurse an der Schule. Das unablässige Brutzeln und Backen verleiht dieser gleichermaßen sensiblen und burlesken Tragikomödie sinnliche, gar märchenhafte Züge, die sich in einer Armada aus Zitronen-Baiser-Torten, Mince Pies und Scones widerspiegeln, als gelte es, das Schlaraffenland neu zu erfinden.
Sehnsucht in Dosen
Der Lebensmittelladen um die Ecke ist von Anfang an einer der Sehnsuchtsorte für den kleinen Nigel. Dort kann er in Gedanken all die Leckereien ausprobieren, die ihm zu Hause - noch! - verwehrt bleiben. Die gestapelten Dosen und Kartons bilden ein Panoptikum britischer Konsumkultur der späten Nachkriegszeit. Auch sonst lebt "Toast" von einem stimmigen Flair der späten Sechziger und frühen Siebziger, immer wieder untermalt von den souligen Klängen Dusty Springfields. Doch von der geistigen Enge der englischen Midlands ist das Swinging London Lichtjahre entfernt.
Nicht zuletzt liefert der Film kleine, aber feine Einblicke in das Rollenverständnis jener Zeit: Nigels Vater, das Musterbild eines gestrengen Fabrikchefs, ist nach dem Verlust seiner Frau am Boden, der Haushalt verwahrlost. Dennoch duldet er keinen Zweifel an seiner Autorität. Das zeigt sich besonders drastisch, als er versucht, dem Filius, der ihm schon immer suspekt war, eine halbrohe Pastete einzutrichtern. Nigel wehrt sich nach Kräften und beschließt: Wenn Vater und Sohn zueinanderfinden sollen, dann über eine Hausmannskost, die ihren Namen auch verdient.
Eine üppige Zumutung
Die Sinnlichkeit, das Burleske und das Hintergründige: All die Stärken von "Toast" bündeln sich in Nigels Kontrahentin Mrs Potter. In quietschgelben engen Kleidern, Nylons und Stilettos ist sie das Gegenteil der zerbrechlichen und zurückhaltenden Mutter. Nach deren Tod übernimmt Mrs Potter das Regiment über die Küche - und bald auch über Mr Slater. Kongenial verkörpert Helena Bonham Carter die üppige Haushälterin, die froh ist, endlich ihrem schäbigen Sozialbau entkommen zu sein.
Selbstbewusst wirbelt die Aufsteigerin durch ihr neues bürgerliches Zuhause, stets mit rollendem Wolverhamptoner Akzent, lasziven Gesten und Kippe im Mundwinkel. Nigels Vater ist selig. So rührend sie sich anfangs um den Sohnemann bemüht, so hemmungslos doziert sie in der piekfeinen Freimaurerloge über Putzmittel - die Frau ist eine Zumutung. Auch für Nigel, wenngleich wohl eher aus Eifersucht denn aus aufrichtigem Klassen-Dünkel. Anstatt sich von Mrs Potter einwickeln zu lassen, macht er ihrem Allerheiligsten Konkurrenz: den Leckereien für den Vater. Backofen und Herd werden zum Schauplatz eines erbitterten Kampfes um dessen Gunst - erneut mit tragischem Ausgang.
Dennoch trägt Nigel am Ende einen Triumph davon. Seine Ausbildung zum Koch im exquisiten Savoy Hotel in London ist die endgültige Emanzipation von einer Welt, die ihm nicht schmeckt. An dieser Stelle macht "Toast" allerdings Appetit auf mehr.
Toast Großbritannien 2010, Regie: SJ Clarkson, Drehbuch: Lee Hall, nach der Autobiografie von Nigel Slater, mit Helena Bonham Carter, Ken Stott, Victoria Hamilton und Freddie Highmore, 96 Minuten. www.mfa-film.de Kinostart: 11. August