Kultur

Ein einfacher Sprung in die Tiefe

von Birgit Güll · 18. März 2010
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Auch wenn der Titel das andeutet, gesichert ist in Hanna Lemkes Geschichten nichts. Beziehungen, Lebensverhältnisse und Zustände geraten nicht ins Wanken - der Boden schwankt von Beginn an. Und Lemkes Helden bewegen sich vorsichtig. Da ist etwa Holm, der einfach möchte, dass jemand da ist. Er hat Angst, die Balkonbrüstung könnte sonst eines Tages nur noch eine kleine Hürde sein, der Sprung in die Tiefe eine einfache Handlung.

"Wie wahrscheinlich das wäre: sehr"

Alles was Georg hat, passt in eine Reisetasche. So kann er schnell ausziehen, wenn ihm langweilig wird oder er es nicht länger aushält. Katrin hat stets Aufkleber dabei: "sexistische scheißekacke" steht darauf. Die klebt sie auf all die Brüste und lasziv geöffneten Frauenmünder, mit denen die Stadt zu Werbezwecken plakatiert ist. Inga wünscht sich zu Weihnachten "mehr Verlässlichkeit". Ihre Freundin will sie regelmäßiger treffen und vom sechzehnteiligen Teeservice erhofft sie sich, ein "geregeltes Leben". Und weil es so lange her ist, dass sie sich ehrlich gefreut hat, versucht sie sich selbst davon zu überzeugen, dass aus Funk und Fernsehen bekannte Plattitüden sie glücklich machen.

Sämtliche Geschichten des Bandes sind aus der Perspektive einer Ich-Erzählerin geschrieben. Die Helden sind höchst unterschiedlich. Doch alle scheinen auf der Suche nach etwas zu sein - auch wenn sie nicht wissen wonach. Alte Sicherheiten, wie der lebenslange Job oder das bürgerliche Idyll der Kleinfamilie sind nicht ihr Ziel. Zu weit weg sind diese Blaupausen von Lebensentwürfen. Zu traurig ist das Bild, das sie abgeben. Und Posen sind nicht gefragt. So mag die Situation prekär sein, doch sie ist ehrlich. "Ich dachte daran, wie es wäre, wenn ich nichts mehr von Andy hören würde. Wie wahrscheinlich das wäre: sehr."

"... der Klang meiner Stimme und des Satzes war so hohl"
Die Autorin nimmt ihre Figuren ernst. Sie zeigt sie in ihrer Unsicherheit und auf ihrer Suche, ohne sie zur Schau zu stellen. "Ich hatte Sekt gekauft, um mit Libbets auf ihren Einzug anzustoßen, aber als ich die Flasche öffnete, kam ich mir mit diesem Vorhaben plötzlich so spießig vor, dass es mir ganz peinlich war", heißt es in der Geschichte "Irgendwo draußen". Zwei Frauen ziehen in dieser Erzählung zusammen, doch die Kommunikation läuft ins Leere. "Alles was ich ihr erzählte, schien sie sofort zu vergessen, und wir gingen schnell wieder auseinander, ganz so, als würde jede ihren Weg verfolgen, obwohl die Wege doch, zumindest in der Wohnung, dieselben waren."

Die Ernsthaftigkeit von Lemkes Texten erstarrt nie zur bloßen Geste und ist nie bedeutungsleer. Plattitüden werden als solche entlarvt, nicht zuletzt mit Humor: "'Aber sind wir nicht irgendwie alle alleine da draußen?', fragte ich laut, und der Klang meiner Stimme und des Satzes war so hohl, dass ich schnell Licht anmachte und Musik auch."

In Lemkes Erzählungen gibt es kein Wort zuviel. Ihre klare und eindringliche Sprache kommt leichtfüßig daher. Und entwickelt dabei eine Wucht, die den Leser in den Bann zieht und zum Nachdenken anregt. Es scheint eine gute Zeit für Kurzgeschichten zu sein. Hanna Lemkes Texte erinnern an jene von Peter Stamm oder Miranda July. Sie sind irgendwo dazwischen angesiedelt. Vergleichbar in ihrer Sprachgewalt und in ihrem Tonfall - und doch völlig eigenständig und absolut eindrucksvoll.

Hanna Lemke: "Gesichertes", Stories, Antje Kunstmann Verlag, München, 2010, 189 Seiten, ISBN 978-3-88897-642-1, 17,90 Euro

Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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