Kultur

„Ein deutsches Leben“: Goebbels‘ Sekretärin packt aus

Sie habe „nichts anderes getan, als bei Herrn Goebbels getippt". Die junge Brunhilde Pomsel macht Karriere im NS-Staat und blendet alles andere aus. Wie das geht? Die Dokumentation „Ein deutsches Leben“ liefert Antworten.
von ohne Autor · 7. April 2017
Ahnungslos und pflichtbewusst: Brunhilde Pomsel
Ahnungslos und pflichtbewusst: Brunhilde Pomsel

Es gehört zu den Besonderheiten der Erinnerung an den Nationalsozialismus, dass sich ausgerechnet die, die sich an den Schaltstellen der Macht bewegten, als unpolitisch und ahnungslos bezeichnen. Nicht nur, um während der Prozesse nach Kriegsende die eigene Haut zu retten, sondern auch als eine Art Selbsthypnose, wollten sie nach Krieg und Völkermord wieder mit sich ins Reine kommen.

Unbedeutendes Rädchen im Getriebe?

„Ist es denn schlecht, ist es denn Egoismus, wenn Menschen an dem Platz, an den sie gestellt wurden, tun, was für sie gut ist?“ Der Satz, den Brunhilde Pomsel zu Beginn fallen lässt, sagt eigentlich alles über die Frau, die sich in den Interviewausschnitten immer wieder als kleines, unbedeutendes Rädchen im Getriebe, als Randfigur, bezeichnet. Dabei diente sie jahrelang Institutionen, deren Hauptaufgabe darin bestand, die Deutschen zu manipulieren. Im Jahr 1933, kurz nach Hitlers Machtergreifung, fängt die 22-Jährige als Sekretärin beim Rundfunk an. Um den Job zu bekommen, tritt sie in die NSDAP ein. Mit einer Tätigkeit im Reichspropagandaministerium erklimmt die schnellste Stenotypistin der Reichs-Rundfunkgesellschaft 1942 die nächste Karrierestufe. Bis zum bitteren Ende im Bunker hält sie Minister Joseph Goebbels die Treue.

 „Alles an ihm war makellos“, sagt sie über den obersten Hetzer. „Er tat mir nur ein wenig leid weil er humpelte, aber er machte das alles wett mit ein bisschen Arroganz und Sicherheit. Er war ein Mann, der Contenance hatte, Haltung.“ Nach fünf Jahren in sowjetischer Gefangenschaft arbeitet sie später als Chefsekretärin bei der ARD.

Schmeichelhafter Arbeitsplatz

„Ich war eben ein bisschen äußerlich“, erklärt die gebürtige Berlinerin ihre Haltung zu Kriegszeiten. Sie soll als Erklärung dafür herhalten, dass sich die junge Frau von dem gepflegten Interieur und den bestens gekleideten Mitarbeitern hat bezaubern lassen. Auch vom Chef persönlich. Wer sich damals nicht angepasst hat, etwa die Regimegegner der „Weißen Rose", sei dumm oder lebensmüde gewesen, sagt sie.

Auch wenn Brunhilde Pomsel, die zum Zeitpunkt des Drehs 103 Jahre alt war und kürzlich im Alter von 106 Jahren verstarb, viele altbekannte Muster der Selbstrechtfertigung reproduziert, ist der Film dennoch erkenntnisreich. Nicht nur angesichts der Ausgiebigkeit, mit der sie sich den Fragen der Filmemacher Christian Krönes, Olaf S. Müller, Roland Schrotthofer und Florian Weigensamer stellte. Aus rund 30 Stunden Material formten die Regisseure eine Collage von fast zwei Stunden.

Ihnen ging es nicht darum, eine Mitläuferin an den Pranger zu stellen, sondern zu zeigen, wie schnell und leicht sich mitunter gerade junge Menschen anpassen. Angesichts der in ganz Europa aufstrebenden rechtspopulistischen Parteien und autoritärer Tendenzen am östlichen Rand der EU liegt darin durchaus ein äußerst aktueller Bezug. Um die Wirkung der NS-Propaganda zu unterstreichen, wurden die Gesprächssequenzen mit historischen Filmaufnahmen, darunter erstmalig gezeigtes Rohmaterial, kombiniert.

Vom Holocaust nichts gewußt

„Ein deutsches Leben“ setzt auf Zwischentöne. Brunhilde Pomsels fast durchweg in druckreifen Sätzen dargebotenen Schilderungen zwingen einen dazu, sich mit dieser Person auseinander zu setzen, will man in ihrer Vita das Exemplarische von einer der vielen kleinen Stützen, die die Maschinerie des Schreckens am Laufen hielten, erkennen. Zudem zeigt sie Anflüge von Selbstkritik. „Heute versuchen die Menschen es so darzustellen, dass sie damals mehr für die armen Juden getan hätten“, sagt die Frau, die vom Holocaust nichts gewußt haben will. „Ich glaube ihnen ihre ehrliche Absicht, aber in Wahrheit hätten sie auch nichts machen können. Das ganze Land war wie unter einer Glocke. Wir waren selber alle in einem riesigen Konzentrationslager. Das alles soll aber nichts entschuldigen.“

Obendrein sorgt die ebenso reduzierte wie intensive Bildsprache für eindrucksvolle Akzente. Im Wechselspiel von Licht und Schatten setzt die Kamera das Gesicht der noch immer eleganten Zeitzeugin in Szene, nicht zuletzt all die Falten und Furchen. Diese Spuren stehen nicht nur für ein langes Leben, sondern scheinen auch widerzuspiegeln, wie sehr es während der vergangenen Jahrzehnte in der Protagonistin gearbeitet hat. Nahezu befreit wirkt sie in manchen Momenten, wenn sie über sich erzählt. Hätte sie ihr Schweigen nur früher gebrochen.

 

Info: „Ein deutsches Leben“ (Österreich/Deutschland 2016), ein Film von Christian Krönes, Olaf S. Müller, Roland Schrotthofer und Florian Weigensamer, 113 Minuten. Jetzt im Kino

 

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