In Spanien sind die Schatten der Diktatur besonders lang. Der baskische Filmemacher Álex de la Iglesia deutet das Leben unter Franco als absurde, bestialische Clownerie – ihrem Sog kann man sich schwer entziehen.
Das weiß doch jedes Kind: Clowns können nicht nur lustig, sondern auch traurig sein. Doch was steckt dahinter, wenn ein Clown wirklich traurig ist? Und wozu ist er fähig? „Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod“ beantwortet diese Fragen in denkbar grotesker Weise: Hier wird der traurige Clown zum rasenden Killer. Von seinem Wanderzirkus aus zieht er eine Blutspur quer durchs Land und wieder zurück. Trotzdem kann man ihn einfach nur lieb haben.
Aber der Reihe nach: Durch den Spanischen Bürgerkrieg wurde Javier um seine Kindheit betrogen. Sein Vater kämpfte für die Republik und wurde von Francos Falangisten gemordet. Emotional deformiert geistert die Vollwaise durch die Welt. Um das Erbe der Väter wieder aufleben zu lassen, geht Javier im Mannesalter zum Zirkus – der „traurige Clown“ wird die Rolle seines Lebens.
Dort trifft er auf den „lustigen Clown“ Sergio und dessen Freundin Natalia, die strahlend schöne Göttin am Trapez. Javiers emotionale und moralische Grenzerfahrungen lassen nicht lange auf sich warten. Alle Kinder lieben Sergio. Gut, dass sie nicht wissen können, dass ihr Star Natalia Nacht für Nacht sexuell demütigt und verprügelt – und diese seinem animalischen Besitzanspruch verfallen ist. Gleichzeitig fühlt sie sich zu Javier hingezogen, weil allein dieses tapsige Bärchen von einem Mann dem Unhold Sergio Paroli bietet. Man ahnt es: Eine tödliche Dreiecksgeschichte nimmt ihren Lauf.
Der Zirkus als Metapher
Der Widerstand des Unterdrückten, die Grausamkeit des scheinbar Allmächtigen und die masochistische Ergebenheit gegenüber dem Stärkeren: Javier, Sergio und Natalia stehen für drei Haltungen und Triebe, die aufeinanderprallen. Doch de la Iglesia geht es nicht allein um eine abgründige Studie über Liebe, Begehren und Tod im Zirkusmilieu.
Indem der Regisseur jenen Clash genüsslich ausbreitet, hält er Spanien den Spiegel vor. Angesichts der weitgehend unbewältigten Franco-Vergangenheit, so de la Iglesia, sind es genau jene drei Merkmale, die die spanische Gesellschaft bis heute wie ein Albtraum heimsuchen. In ihm verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse, um nicht zu sagen: zwischen gutem und bösem Clown.
Den Verbrechen der jüngsten Geschichte mit den Mitteln der Groteske beizukommen, das konnten Kinogänger jüngst anhand eines von Sean Penn verkörperten Alt-Rockers miterleben, der in „Cheyenne“ einem greisen Nazi-Schergen nachstellt. Doch „Mad Circus“ geht viel weiter. Außerhalb des schönen Scheins im Zirkuszelt gibt es nichts als Schmutz: Gleichgültigkeit, Rohheit und jener untertänige Sumpf, der den Klüngel um Diktator Franco an der Macht hält, indem er Menschen wie Vieh behandelt.
Blutrausch als Kunst
Kein Wunder also, dass Javier nicht nur gegen Sergio, sondern gegen die gesamte Kloake Spanien zu Felde zieht. Dabei gelingt de la Iglesia ein fulminanter Kunstgriff: Mit den Mitteln des Action- und Splatterkinos entfacht er einen düsteren Sog aus Gewalt und Gegengewalt. Doch Javiers blutige Raserei ist niemals Selbstzweck. Stets dominieren die inneren Kämpfe der tragischen Hauptfigur, die sensible Zuschauer gleichzeitig zum Lachen und Weinen bringen dürfte: Bis Wahnsinn und Blutrausch endgültig obsiegen und das Ganze im völligen Chaos endet – das Spiel von Hauptdarsteller Carlos Areces ist schlichtweg nicht von dieser Welt!
Politische Wendezeiten eignen sich bekanntlich besonders gut als Handlungsrahmen, um von vergangenen Dikaturen zu erzählen. So auch in „Mad Circus“. Wir schreiben das Jahr 1973: In Spanien brodelt es. Der Dieb und Ausbrecherkönig „El Lute“ narrt die Sicherheitskräfte. „Generalissimo“ Franco hat noch zwei Jahre zu leben und zu herrschen. Die ergrauten Altfalangisten klammern sich an ihre Pfründe.
In jenem Jahr, als, so der damals achtjährige de la Iglesia, die Wirklichkeit womöglich einem Traum am nächsten kam, starb Regierungschef Luis Carrero Blanco, Francos rechte Hand, durch eine Autobombe. Es muss eine surreale Szene gewesen sein: Die Explosion war so gewaltig, dass der Wagen 35 Meter in die Höhe flog und dabei ein Wohnhaus und eine Kirche überwand.
Surrealer Terror
Es ist bezeichnend für diesen Film, dass ausgerechnet jenes Attentat der ETA-Terroristen dazu dient, eine unmittelbare Verbindung zur historischen Realität herzustellen. Zumindest für einen kurzen Moment: Denn Javiers Verfolger halten keinesfalls baskische Untergrundkämpfer für die Schuldigen. Aber in dem fiebrigen Wahn des entstellten Clowns spielt das längst keine Rolle mehr.
Trockener Humor und rauschhafte Gewalt gegen die entmenschte Elite: Manch einen dürfte das an Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ erinnern. Doch gerade wegen der Tiefe seiner Hauptfigur ist „Mad Circus“ jenem Werk weit voraus. Tarantino kann es verschmerzen, schließlich erntete diese schmutzig-sensible Ballade im vergangenen Jahr unter seinem Jury-Vorsitz den Preis für die beste Regie bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig.