Kultur

Durch die Schichtungen der Oberfläche hindurch

von Dorle Gelbhaar · 2. November 2009
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Wozu diese Quälerei, mögen Lesende mit dem Protagonisten, dem alternden Autor Kielmann, mitfühlen. Am Ende eines erfüllten Lebens stehend soll er auf Anraten des Arztes nicht mehr als eine Stunde am Tag lesen und kann dennoch nicht davon ablassen, noch einmal ein literarisches Projekt anzugehen, das seine Kräfte zu überfordern droht. Was ist es, das ihn treibt? Verspricht er sich doch weder pekuniären Erfolg noch große Ehrungen davon. Ohnehin ist die Zeit vorbei, in der er seinen Platz in der Gesellschaft behaupten musste. Andere seiner Altersgruppe, die in der DDR etwas darstellten, fragen dem Geschehenen längst nicht mehr nach, sondern erfreuen sich an den nun möglichen Reisen durch die Welt.

Fiktives und Authentisches
Es ist das Nachdenken über den längst verstorbenen Kommunisten Paul Böttcher, das Kielmann umtreibt. Dieser Böttcher ist eine authentische Figur und sein Lebensweg geeignet, die Geschichte der kommunistischen Bewegung am Beispiel lebendig werden zu lassen. Er reicht vom Arbeiterschicksal im Deutschland der 20er und 30er Jahre bis hin zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Böttcher in Moskau vor Gericht gestellt und verurteilt, in der DDR nicht rehabilitiert wurde und dennoch weiter an die Sache des Kommunismus glaubte.
Wolfgang Veith, ebenfalls eine authentische Gestalt dieses Buches, nahm eine andere Entwicklung. Er landete nach sowjetischer Lagerhaft, während der er Böttcher zunächst kennen und schätzen lernte, in Westberlin und entwickelte sich dort zum erfolgreichen Journalisten.

100 Jahre Geschichtliches
Erich Loest nähert sich seinem Gegenstand von zwei Zeitebenen aus, aus der gegenwärtigen, in der Kielmann recherchiert, und aus jener Zeit, über die recherchiert wird. Kielmann will beim Nachsinnen über Böttcher einen großen Bogen durch die Geschichte spannen. Er reicht rund hundert Jahre zurück, denn Böttcher ist 1891 geboren worden. "Mit der Sozialdemokratie … bereits als Kind in Berührung" gekommen tangiert dessen Schicksal die ganze weitere Entwicklung der Arbeiterbewegung, die Spaltung in SPD und KPD, den unheilvollen Fortgang nach der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts.
Jahre später zum Opfer des Stalinismus geworden, glaubt Böttcher trotzdem weiter an den Sozialismus, bemüht sich um seine Rehabilitation. Veith wähnt sich wiederum als von Böttcher denunziertes Opfer. Das Loestsche Buch greift weit aus, viel weiter, als das Erinnern des Autors Kielmann ausreicht.

Satirisches
Der erfundene Autor hält es für besser, am Schreibtisch den eigenen Grips, Recherche- und Gestaltungsvermögen strapazieren, als sich dem ärztlichen Einreden zu überlassen. Frau Kielmann sähe es andersherum lieber. Aus dem Alltag dieses Ehepaares heraus wird auch heutige linke Politik beschrieben. Kielmanns Taktieren beim Durchdenken seines Schreibens bezieht sich darauf. Ein wenig Erfolg wünscht er sich schließlich doch.
Die Satire schimmert kräftig durch, wenn Kielmann darüber meditiert, was in der Darstellung seiner Figuren gerade angesagt sein mag. Der 1926 in Mittweida geborene Erich Loest spielt im Polit- und Familienalltagswirbel gekonnt mit seinen Figuren.

Ein bisschen Kafkaeskes

Der Anfang des Buches ist irritierend. Wer hat was gesagt? Wer habe was gesagt? Ist das Absicht? Die merkwürdige Form des Erzählens. Dieses in den Konjunktiv verfallen, wo doch direkte Rede erwartet wird, entspricht nicht dem von Erich Loest gewöhnten Flüssigen.
Aber da kommt eine Atmosphäre herüber, die an vom ihm selbst Erlebtes gemahnt. Etwas Kafkaeskes, schwer zu Durchschauendes. Sieben Jahre war Loest von 1957 an aus politischen Gründen in der DDR inhaftiert. Da weiß er allzu gut um den Stalinismus und damit zusammenhängendes Atmosphärisches.

Heutiges
Eine Menge an Insiderwissen verspricht dieses Buch. Lesenden schreibt es keine Denkrichtung vor, nimmt sie lediglich in Hinblick auf zu verzeichnende Fakten und eben mittels der leisen ironisierenden Betrachtung des Ehepaares Kielmann und seiner zeitgeschichtlichen Deutungsversuche an die Hand. "Wäschekorb" heißt das Buch übrigens, weil Kielmann in selbigen 1989 sein SED-Parteibuch entsorgte.

Dorle Gelbhaar

Erich Loest: "Wäschekorb", Steidl Verlag, Göttingen 2009, 109 Seiten, 9,90 Euro, ISBN 978-3-86521-957-2

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Autor*in
Dorle Gelbhaar

ist freie Autorin, Vorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftsteller im ver.di-Landesverband Berlin sowie stellvertretende Vorsitzende des Kulturwerks Berliner Schriftsteller e. V.

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