Kultur

Don Quichotte der SED

von Uwe Knüpfer · 21. November 2012

"Ich habe versucht, auf meiner Strecke etwas zu machen, was die ganze Partei hätte machen müssen." Dietmar Keller hält "nichts von linken Träumereien über die DDR".

Der vorletzte Kulturminister der DDR wehrt sich gegen die Dämonisierung wie auch die Verklärung des Lebens im ostdeutschen "Arbeiter- und Bauernstaat". Damit ist  Dietmar Keller zwischen alle Stühle gefallen. Auf Einladung Wolfgang Thierses stellte er in der Berliner vorwärts-Buchhandlung sein neues Buch vor: "In den Mühlen der Ebene."

Thierse und Keller kennen sich aus Volkskammerzeiten. Beide sind in der DDR aufgewachsen - und dennoch trennten sie Welten. Thierse wurde Sozialdemokrat und stieg im vereinten Deutschland bis zum Bundestagspräsidentenamt auf. Keller war 1989/90 Kulturminister der Modrow-Regierung, Volkskammer- und Bundestagsabgeordneter. Er blieb der SED-Nachfolgepartei treu und musste sich dort als "unverbesserlicher Sozialdemokrat" beschimpfen lassen.

Heute lebt der Siebzigjährige "in einem Dorf mit 2000 Menschen." Fast trotzig fügt er hinzu: "Und bin dort der King". Der Ex-Parteisekretär und -Minister organisiert auf dem Land hochkarätige Kulturveranstaltungen - und achtet dabei, wie zu DDR-Zeiten, auf einen niedrigen Eintrittspreis. "Zwei Euro fünfzig:  Das ham wer gelernt."

Keller, das verrät seine Sprache sofort und das will er auch gar nicht leugnen, hat die DDR geistig nie völlig verlassen. Spricht er über Reisen in den Westen, die er als Minister unternahm, ist wie selbstverständlich vom "KA" die Rede - DDR-Sprech für "Kapitalistisches Ausland".

Ob er die Bundesrepublik (Keller: "die BRD") denn inzwischen als seine Heimat sehe, will Thierse am Ende des Gesprächs wissen. Keller zögert lange, ringt sich schließlich zu der zerquälten Feststellung durch, er lebe hier und habe das Land nie verlassen wollen.

Dabei hat er kurz zuvor das Grundgesetz zitiert. Keller sprach über "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Verbrechen begangen von und in der DDR, mit Wissen der Kader, wie er einer war. "Wir alle haben uns schuldig gemacht."

Zwar habe er von den Vorgängen in den Stasi-Gefängnissen erst nach der Wende erfahren, aber dass Wahlen gefälscht wurden und der "Demokratische Zentralismus" der SED mit Demokratie nichts zu tun hatte: das habe er natürlich gewusst.  Auch habe er früh erlebt, wie die SED mit jedem umsprang, der glaubte, eine eigene Meinung äußern zu können. 

Kellers Umgang mit diesem Widerspruch könnte man dialektisch nennen: "Die Würde des Menschen ist unantastbar: das gilt, obwohl es damals noch nicht galt, auch bei uns." 

Eigentlich habe er Wissenschaftler werden wollen, wurde promoviert, er habilitierte sich. Seine Karriere in der SED, so schildert er es, ergab sich. Auch weil er überzeugt gewesen sei, jeder müsse dort, wo er zuhause sei, versuchen, das Beste zu geben.

Und es sei ja möglich gewesen, in der DDR mitmachend Anstand zu wahren. In seinem Buch schreibt Keller bewundernd über SED-Mitglieder wie seinen Schulleiter, einen "ruhigen, bescheidenen und glaubwürdigen Genossen". Eine Lanze wolle er brechen "für die Don Quichottes" im Land. Für Menschen, die "Täter und Opfer waren, Opfer und Täter zugleich".

Als Bezirkssekretär in Leipzig habe er darauf geachtet, dass niemand wegen politischer Opposition ausgeschlossen oder exmatrikuliert worden ist. Auf Thierses Vorhaltung, gegen den Rauswurf Wolf Biermanns aus der DDR nicht vehement opponiert zu haben, erwidert Keller, in Leipzig seien die Vorgänge um Biermann bis 1976 praktisch unbekannt gewesen. Thierse fällt es sichtlich schwer, das zu glauben. Er lebte in Berlin, der "Hauptstadt der DDR",  und war offenbar über die SED-internen Ränke um den dichtenden Sänger bestens im Bilde.

Keller wehrt sich: "Ich hatte kein Elternhaus wie Sie, keine Kirche im Hinterland, keine Kontakte zu westdeutschen Journalisten wie Ihr in Berlin!" Keller entstammt einfachen Verhältnissen. Die DDR und die SED haben ihm seinen gesellschaftlichen Aufstieg ermöglicht.  Leipzig war weit weg von Berlin.

Dabei sei er nie unkritisch gewesen. "Zweifel hat eigentlich jeder gehabt, der mitten im Leben stand." Warum, zum Beispiel, waren die SPD-Größen, die bei der Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED mitgemacht hatten, "ab 1952/3 ausgeschaltet"? Immer wieder habe es massenhaft Parteiausschlüsse gegeben.

Was vielleicht auch Thierses Frage beantwortete, warum sich in der SED bis zuletzt keine echte Opposition gegen die Politik der Führung gebildet habe - wo die Partei doch kluge und kritische Kader wie Keller enthielt.

Dessen eigene Frau hat sich vom MfS (Ministerium für Staatssicherheit) anwerben lassen, hinter Kellers Rücken, hat ihn und seine Gäste ab 1976 ausspioniert. Erst 1999 habe er davon erfahren, aus den Akten der Gauck-Behörde; drei Jahre nach der Scheidung. Miteinander gesprochen hätten die beiden seit 1996 nicht mehr.  Überhaupt: "Ich habe viele Freunde verloren."

In den 1990er Jahren hat Keller versucht, die PDS zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit Stalinismus und Stasi-Staat zu treiben. Erfolglos. Er gab auf, akzeptierte die Arbeitslosigkeit, wurde Rentner, prüfte sich selbst; das Resultat ist sein Buch: "Ich habe versucht, auf meiner Strecke etwas zu machen, was die ganze Partei hätte machen müssen."

Stattdessen habe der Zusammenschluss der PDS mit der WASG zur "Linken" die DDR-Nostalgiker gestärkt.  Sie verstünden sich gut mit den Alt-Linken aus dem Westen, die sich einst willig nach Kambodscha, Moskau oder China hätten einladen lassen. Wer von denen habe jemals öffentlich Selbstkritik geäußert? fragt Keller rhetorisch. Und gibt die Antwort selbst: "Die Kommunisten aus dem Westen sind weich gelandet - bei den Grünen und der Linken."

Autor*in
Uwe Knüpfer

war bis 2012 Chefredakteur des vorwärts.

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