Kultur

Dokumentarfilm: Wie der Protest im Hambacher Forst zur Tragödie wurde

Bei der Räumung des Hambacher Forstes kam der Filmstudent Steffen Meyn zu Tode. Fünf Jahre später zeigt ein Dokumentarfilm seine Aufnahmen jener Tage. Eine erschütternde Erzählung über die Frage, was Menschen für ihr Engagement riskieren.
von ohne Autor · 22. September 2023
Steffen Meyn bei Dreharbeiten im Hambacher Forst.
Steffen Meyn bei Dreharbeiten im Hambacher Forst.

Niemand wollte für den Kampf um den Hambacher Forst sterben, berichtet eine vermummte junge Frau vor der Kamera. Sie zählte zu den Bewohner*innen von rund 60 Baumhäusern, die die CDU-geführte Landesregierung von Nordrhein-Westfalen im September 2018 räumen ließ. Und doch kam es bei der zynisch als Rettungseinsatz deklarierten Polizeiaktion zu einem tödlichen Zwischenfall. Der Filmstudent Steffen Meyn stürzte aus gut 15 Metern in die Tiefe. Er wurde 27 Jahre alt.

Eigentlich nur ein Filmprojekt

Für ein Filmprojekt an seiner Hochschule hatte sich Steffen Meyn unter die Protestierenden gemischt. Mit der Besetzung des Waldes zwischen Köln und Aachen wollten sie dessen Abbaggerung durch den Energiekonzern RWE stoppen. Die jahrelange Auseinandersetzung um den Hambacher Forst wurde zum Symbol des Protestes gegen den Abbau und die Nutzung der besonders klimaschädlichen Braunkohle. Auch, weil jener Polizeieinsatz – einer der größten in der Geschichte des Bundeslandes NRW – in einem Gerichtsurteil als rechtswidrig eingestuft wurde.

„Steffens Ziel war es, die Gesellschaft mit seinem Einsatz gerechter, toleranter, rücksichtsvoller zu machen“, heißt es in einem Nachruf der Kunsthochschule für Medien Köln. „In seiner Kunst sah er ein Instrument, das diesen persönlichen Einsatz vervielfachen konnte.“ Diese Haltung spiegelt sich auch in seiner letzten Arbeit wider. Dabei ging es ihm aber auch ums Verstehen.

Neues Leben im Wald

Wieso nehmen Menschen ein hohes Risiko in Kauf, um politische Ziele zu erreichen? Was passiert, wenn Utopie auf Realität trifft? Mit diesen Fragen im Gepäck und einer auf einem Fahrradhelm montierten 360-Grad-Kamera zog Steffen Meyn in den Wald. Etwa ein Jahr lang begleitete er immer wieder die erwähnte junge Frau und deren Mitstreiter*innen – herzlich und solidarisch, aber durchaus mit kritischen Fragen. Sieben Tage filmte er die Räumung.

Sein Film blieb unvollendet. „Vergiss Meyn nicht“ macht den Versuch, ihn zu vollenden. Aus den hinterlassenen Bildern formten Freund*innen eine Langzeitstudie über eine ebenso entschlossene wie idealistische Gruppe von Aktivist*innen. Dass das überhaupt möglich war, grenzt an ein Wunder. Jahrelang hielt die Staatsanwaltschaft Aachen die Speicherkarten der Kamera unter Verschluss.

Aus solch ungewohnten Perspektiven hat man wohl noch nie auf das Geschehen im Hambacher Forst oder überhaupt in das Innerste einer wenig zimperlichen Protestbewegung geblickt. Damit sind nicht nur die Szenen in schwindelerregender Höhe gemeint. Dass ihm diese zur Todesfalle wurde, verleihen den von Steffen Meyn gedrehten Bildern eine tragische, nur schwer zu ertragende Note.

Was vom Protest geblieben ist

Der Film stellt aber auch eine Erweiterung dar, indem er die Gegenwart einbezieht und fragt: Was ist von dem Protest, der ein Leben gekostet hat, geblieben? Was hat all das mit den Menschen gemacht? Dabei gehen die Regisseur*innen Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff ähnlichen Fragestellungen nach wie ihr verstorbener Freund. In ausgiebigen Interviewsequenzen blicken ehemalige Besetzer*innen zurück und verknüpfen die Erlebnisse mit dem Heute. Dieser Selbstcheck bringt mitunter spannende Blickwinkel hervor, verliert sich oft aber auch im Ungefähren.

Der plötzliche Tod von Steffen Meyn bildet die Klammer dieses manchmal etwas zu sehr mäandernden, aber dennoch sehr berührenden Filmes. Wir begegnen ihm als Künstler an der Grenze zum Aktivisten, aber auch als Objekt einer Erzählung, die viel über ihn und die Menschen, die ihn in ihrer Mitte aufnahmen – was angesichts des fast schon klandestinen Geistes der Waldbesetzer*innen und der zugespitzten Umstände alles andere als selbstverständlich war – , preisgibt.

Eines wird einem dabei, mitunter schmerzhaft, bewusst: Vergessen sind weder Steffen Meyn noch der Protest, der sein Leben so früh beendet hat.

Info: „Vergiss Meyn nicht“ (Deutschland 2023), ein Film von Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff, mit Steffen Meyn u.a., 102 Minuten

https://www.wfilm.de/vergiss-meyn-nicht/

Im Kino

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