Kultur

Doku zu NSU-Anschlag auf die Keupstraße: Die Bombe danach

Die Geschichte des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ ist auch eine Geschichte von falschen Verdächtigungen. Das zeigt der Dokumentarfilm „Der Kuaför aus Keupstraße“ anhand des Kölner Nagelbombenanschlags. Er lässt die Opfer zu Wort kommen und entlarvt die fragwürdige Arbeit der Ermittler.
von ohne Autor · 26. Februar 2016
Der Kuaför aus der Keupstraße
Der Kuaför aus der Keupstraße

Bei Gewaltverbrechen wird die Polizei nicht müde zu betonen, in alle Richtungen zu ermitteln. Doch ausgerechnet bei der Serie von Morden und Anschlägen des NSU legten sich die Ermittler ziemlich schnell fest. Nämlich darauf, dass die Schuldigen in kriminellen Migrantenmilieus zu suchen seien. Und nicht etwa in einer rechtsextremistischen Terrorzelle. Erst das 2011 veröffentlichte NSU-Bekennervideo brachte das Gebäude aus Selbsttäuschungen, Vorurteilen und Ermittlungspannen zum Einstürzen.

22 Verletzte nach Explosion in der Keupstraße

Auch diejenigen, die den Kölner Nagelbombenanschlag im Sommer 2004 miterleben mussten, lebten über Jahre mit dem Makel des Verdachts. Einer der NSU-Terroristen hatte den mit Nägeln und Scherben gefüllten Sprengkörper vor einem Friseurladen in der Kölner Keupstraße, einem der Zentren des türkischen Geschäftslebens in der Domstadt, platziert. 22 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt, wie durch ein Wunder kam niemand ums Leben. Das Friseurgeschäft wurde völlig verwüstet. Was dann kam, beschreibt eine Zeitzeugin vor der Kamera als die „zweite und weitaus schlimmere Bombe“.

Köln-Mülheim, im Sommer 2014: Auf einer Wiese ist eine Open-Air-Bühne aufgebaut, es gibt Kölsch- und Imbissstände. Zehn Jahre nach dem Anschlag feiern Politiker, Musiker und Anwohner unter dem Motto „Birlikte-Zusammenstehen“ die Solidarität mit den Menschen in der Keupstraße. Der Bundespräsident schüttelt Hände, auch die von Özcan und Hasan Yildirim, den Besitzern jenes Salons. Gauck spricht eine dieser Gauck-Sätze vom Hass der Wenigen und dem Zusammenhalt der Vielen.

Krude Theorien der Ermittler

Doch die fröhliche Stimmung, die der Film zum Auftakt und gegen Ende verströmt, ist mehr Kontrastmittel als Botschaft: So wird die düstere Note dieser Geschichte, die noch lange nicht abgeschlossen ist, besonders augenscheinlich. Regisseur Andreas Maus erzählt davon, wie die Brüder Yildirim nach dem Anschlag immer wieder verhört wurden, anstatt Unterstützung zu erfahren. Um die Männer zu belasten, werden die krudesten Theorien ausgepackt.

Auch ihre engsten Angehörigen müssen sich stundenlangen Befragungen zu Schulden, Glücksspiel und Verbindungen zur „Türsteher-Szene“ über sich ergehen lassen. Einige Verwandte  und Nachbarn gehen auf Distanz, von den Kunden ganz zu schweigen. Von Selbstmordgedanken ist die Rede. Und vom Zusammenhalt in der Keupstraßen-Community, der angesichts der Verdächtigungen und jahrelangen Ermittlungen bröckelt. Und davon, dass den Anschlagsopfern niemand, auch nicht die Medien, jemals zugehört hätten. Erst dadurch konnte – wie auch an den anderen Schauplätzen des NSU-Terrors – jene ebenso einseitige wie abwegige Sicht auf das Geschehen zur Wahrheit erhoben werden.

Eventcharakter macht NSU-Opfer zum Beiwerk

Der Sichtweise der Opfer und ihren Nöten räumt Regisseur Andreas Maus breiten Raum ein. Besser gesagt: Sie ist die Grundlage und der rote Faden seines Films. Die Yildirims und viele Anwohner berichten davon, was es heißt, mit der Ohnmacht zu leben, die der Anschlag und seine Folgen über sie gebracht haben. Bei einigen ist auch Wut zu spüren. Auch darüber, möglicherweise für eine politisch korrekte Großveranstaltung instrumentalisiert worden zu sein. „Am Ende wollten alle nur Peter Maffay sehen und uns stellte man irgendwo ab“, blickt einer von ihnen auf das „Birlikte“-Fest zurück. Es sind gerade die nüchternen Betrachtungen, die verstören.

Nicht weniger erschüttern die nachgestellten Vernehmungen. Auf Grundlage der Originalakten rekonstruierte Maus sie mit Schauspielern. Nach 93 Minuten wundert sich wohl niemand mehr, warum der Nagelbombenanschlag bis 2011 unaufgeklärt blieb, obwohl der Verfassungsschutz seinerzeit bereits erste Hinweise auf einen rechtsterroristischen Hintergrund an die Ermittler weitergegeben hatte. Es drängt sich der Eindruck auf, die Kriminalbeamten hätten in einer Parallelwelt gelebt. Die Kommentierung des damaligen Polizeipräsidenten: ein einziges Desaster. Immerhin ließ der sich vor der Kamera befragen, alle weiteren Ermittlungsbehörden verweigerten sich.

Der Fall Keupstraße ist lang noch nicht aufgeklärt

Viele Rätsel, die sich um die Aufarbeitung der brutalen Attacke vom Sommer 2004 ranken, werden wohl noch lange Zeit ungelöst bleiben. „Der Kuaför aus der Keupstraße“ liefert wichtige Puzzlestücke für Erklärungen, die die Politik, die Ermittler selbst, womöglich aber auch die Justiz geben müssen. Und sei es nur die „andere“ Sichtweise: Während die Erinnerungsberichte gerade durch ihre Subjektivität und Unmittelbarkeit erhellend sind, bringen die Vernehmungsszenen durch die distanzierte Inszenierung Licht ins Dunkle. Weniger überzeugend sind die Versuche, die Geschichte(n) durch Thrillerelemente und essayistische Off-Kommentare ästhetisch zu überhören. Mag die Konzentration auf die Opfer-Perspektive mitunter auch anstrengend sein: Dieser Film war überfällig. Man wünscht sich, er wäre Teil einer großangelegten Aufklärungsarbeit zum Thema NSU.

Info zum Film: Der Kuaför aus der Keupstraße (D 2015), ein Film von Andreas Maus, mit Özcan und Hassan Yildirim u.a., Sprachen: Deutsch/Türkisch, 93 Minuten.

Ab sofort im Kino

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