Kultur

Doku: Wie ein Pfarrer in Thüringen der rechten Gefahr trotzt

Als entschiedener Neonazi-Gegner wurde Lothar König bundesweit bekannt. Der Dokumentarfilm „König hört auf“ zeichnet ein kritisches Porträt des früheren Jenaer Stadtjugendpfarrers.
von ohne Autor · 18. November 2022
Der ehemalige Stadtjugendpfarrer Lothar König muss sich neu erfinden.
Der ehemalige Stadtjugendpfarrer Lothar König muss sich neu erfinden.

Als Lothar König im Jahr 2019 in den Ruhestand verabschiedet wurde, zogen Antifaschist*innen mit einer lautstarken Prozession an seiner Kirche in Jenas City vorbei: zu Ehren eines Pfarrers, der durch sein jahrzehntelanges Engagement zur Symbolfigur des Engagements gegen Rechtsextremismus in Thüringen – und auch darüber hinaus – geworden ist.

Äußere und innere Spuren

Es ist ein beeindruckendes und nicht gerade alltägliches Bild. König hat für diesen Zuspruch allerdings einen hohen Preis gezahlt. Im Grunde zahlt er ihn noch immer. Tag für Tag. Von seinem Einsatz gegen braune Umtriebe hat er viele Wunden davongetragen, innere wie äußere. Die dicke Narbe im Gesicht ist die Folge von Schlägen eines Rechtsextremen. Immer wieder wurde Königs Familie von Neonazis terrorisiert, auch zu Hause. Es gab Morddrohungen.

Nach einer Demonstration gegen einen Neonazi-Aufmarsch in Dresden im Jahr 2011 wurde der heute 68-Jährige bundesweit bekannt: Die sächsische Justiz klagte ihn wegen „schweren aufwieglerischen Landfriedensbruchs“ an. 2014 wurde der Prozess eingestellt, es hatte Falschaussagen von Zeugen und Rechtsverstöße aufseiten der Ermittler*innen gegeben.

Neues Leben vor Augen

Kann so ein Mensch wirklich aufhören? Königs Sohn Tilman erzählt in seinem Film davon, wie sich sein Vater, die nahende Abberufung vor Augen, langsam von seiner Rolle als Pfarrer verabschiedet. Und wie er in dem neuen Lebensabschnitt ankommt.

Kapitel für Kapitel wird deutlich: König hat sein kirchliches Amt viel umfassender ausgeübt und gelebt, als es Geistliche in Deutschland in der Regel tun. Von 1990 bis 2019 war er Stadtjugendpfarrer in der Jungen Gemeinde von Jena. Unter seiner Ägide entwickelte sie sich in den frühen 90er-Jahren zu einem Rückzugsort für Unangepasste und Ausgegrenzte. Frühzeitig warnte König vor dem erstarkenden Rechtsextremismus. Bei Nazi-Demos stand er der späteren NSU-Terroristin Beate Zschäpe gegenüber. Als lautstarker Wortführer der Gegendemonstrant*innen wurde er zur Ikone und zur Hassfigur.

Im Ruhestand ist König gezwungen, sich neu zu erfinden. Keine leichte Aufgabe für jemand, der es jahrzehntelang gewohnt war, den Ton anzugeben. Der Film beschränkt sich allerdings nicht auf die öffentliche Figur Lothar König. Auch der Privatmensch (insofern in diesem Fall überhaupt davon die Rede sein kann) kommt ausführlich zum Zuge.

Spuren eines exzessiven Lebens

Besonders eindrucksvoll sind die Momente, wenn der Vater im Zwiegespräch mit dem Sohn von seinen Ängsten und seinem Selbstzweifel berichtet. Dann ist zu erahnen, was das Leben dieses kauzigen Workaholics, der schon zu DDR-Zeiten bei der staatlichen Obrigkeit aneckte, mit ihm und seiner Familie gemacht hat. Im Kampf gegen Rechts steht seine Tochter Katharina König-Preuss, Abgeordnete der Linken im Thüringer Landtag, an seiner Seite.

Ein Sohn dreht einen Film über den Vater: Das klingt heikel. Tilman König war sich der Herausforderung bewusst. Er sagt laut Presseheft: „In meiner Rolle als Sohn, der einen Film über seinen Vater macht, habe ich die Möglichkeit bekommen, einen sehr persönlichen Dokumentarfilm zu erschaffen. Einen Film, welcher der kontroversen und vielschichtigen Person Lothar König nahekommt. Ich bin sehr dankbar für das entgegengebrachte Vertrauen und hoffe bei den Zuschauern des Films zumindest Irritation hervorzurufen.“

Distanz bewahrt

Die Gratwanderung ist gelungen. Der Film bewahrt die nötige Distanz gegenüber der zentralen Figur, profitiert zugleich aber von dem familiären Zugang zu ihr. Wir sehen König mit den Augen des Sohnes. Der bringt uns einen durchaus auch anstrengenden Menschen näher, der schnell aufbrausend wird und mit Kraftausdrücken hantiert, wenn die Dinge nicht nach seinen Vorstellungen laufen. Der aber auch immer wieder deutlich macht, auf welchen tiefen ethischen Überzeugungen sein Tun fußt.

„König hört auf“ ist keine Hommage, sondern ein kritisches Porträt. Es spinnt einen Faden von der DDR, an deren Ende sich König der Bürgerbewegung Neues Forum anschloss, bis in die Gegenwart, in der er mit derber Rhetorik gegen die AfD wettert. Die Erzählung lebt aber weniger von durch Archivmaterial unterfütterten Wendepunkten, sondern von ganz alltäglichen Begegnungen mit dem Protagonisten. Zugleich liefert der Film intensive Einblicke in Thüringens rechte Szene – aus dem Blickwinkel eines unerschrockenen Gegners.

Info: „König hört auf“ (Deutschland 2022), ein Film von Tilman König, mit Lothar König, Katharina König-Preuss u.a., 82 Minuten, FSK ab 12 Jahren.

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