Kultur

Doku-Fiktion „Experiment Sozialismus“: Ist Castros Erbe noch zu retten?

Hat das sozialistische Kuba eine Zukunft? Die Dokumentarfilmerin Jana Kaesdorf stellt Auswege aus der Mangelwirtschaft vor, blendet dabei aber die politischen Defizite des Systems aus.
von ohne Autor · 28. August 2020

Vernichtender kann ein Urteil über den real existierenden Sozialismus in Kuba kaum sein. „Hier geht es um Beziehungen, das ist kein Sozialismus“, sagt Angel, ein Fischer. „Das ist ein Land der Genossen, aber kein Land der Arbeiter.“ Wie die anderen Männer in dem Dorf nahe der Küstenstadt Puerto Padre arbeitet auch Angel für den Staat. Dieser kauft ihm den Großteil seines Fangs ab. Da von dem Preis niemand leben kann, verkaufen die Fischer den Rest unter der Hand weiter. Genau das ist allerdings verboten – einer von vielen Widersprüchen in einem System, das seit einer gefühlten Ewigkeit vor dem wirtschaftlichen Kollaps steht.

Flucht in die USA

Bevor die roadmovieartige Doku-Fiktion bei dem enttäuschten Fischer im Osten des Landes ankommt, führt Regisseurin und Autorin Jana Kaesdorf in epischer Manier in ihr Thema ein. In ihrem Debüt als Dokumentarfilmregisseurin will sie „authentische“ Bilder vom Alltag der Menschen auf der Karibikinsel liefern und zugleich die tiefgreifende Krise des Systems Castro aus der Vergangenheit herleiten.

Diese schließt im Rahmen der Erzählung Fidel Castros Revolution von 1958, die anschließenden US-Sanktionen und die für Kuba besonders dramatischen Folgen des Zusammenbruchs des Sowjetimperiums ein, reicht aber bis weit in die Kolonialzeit. Die letztendlich im Vordergrund stehende Gegenwart und die Vergangenheit werden in der Rolle eines fiktiven Erzählers miteinander verknüpft. Jener Arsenio Morella war als junger Mann vor dem ökonomischen und sozialen Desaster in die USA geflüchtet. Ihm folgen wir zunächst durch die Landschaft seiner Kindheit, die hügeligen Tropenwälder im Landesinneren, in die sich kaum ein Tourist verirrt.

Jahrzehnte später kehrt Arsenio zurück und sieht Kuba mit anderen Augen. Welche Probleme sind geblieben? Wo gibt es Zeichen für Veränderungen?

Land im Umbruch

Kaesdorf ging diesen Fragen während der vierwöchigen Dreharbeiten im Jahr 2016 nach. Mit ihrer Kamera schaut Arsenio auf seine nunmehr fremde alte Heimat. Er bringt Erfahrungen mit, die er mit den realen Kubaner*innen teilt. Seine Vita verdichtete Kaesdorf aus Interviews und Gesprächen, die sie für diesen weitgehend aus eigenen Mitteln und über Crowdfunding finanzierten Film geführt hat. Kreuz und quer und ohne Drehgenehmigung fuhr sie mit ihrem kleinen Team über die Insel, um mit Menschen aus verschiedensten Milieus zu sprechen. Immer ging es um die Frage: Was haben die Kubaner*innen von den 2011 eingeleiteten zaghaften Reformen, den sogenannten Lineamentos?

Kaesdorf war bemüht, jenseits des üblichen, also auf den Niedergang des Systems fokussierten Blick von einem Land im Umbruch zu erzählen. In der Tat förderte sie Dinge zutage, die einen hoffen lassen, dass sich zumindest bei den Lebensbedingungen etwas zum Besseren wenden könnte. So können sich Landwirt*innen mittlerweile zu privaten Genossenschaften zusammenschließen und so einen Ertrag erwirtschaften, der ihre Existenz sichert, anstatt in staatlichen Betrieben für einen Hungerlohn zu schuften. Zugleich tragen sie dazu bei, Kuba weniger abhängig von teuren Lebensmittelimporten zu machen.

Fokus auf wirtschaftliche Probleme

Auch aus anderen Bereichen des lokalen Wirtschaftens werden Beispiele für neue Freiräume gezeigt. Doch lässt sich damit eine ganze Volkswirtschaft retten? Dass Kuba noch einen weiten Weg vor sich hat, machen die Gesprächspartner*innen erstaunlich offenherzig deutlich. Vom Anspruch auf einen kubanischen Weg des Sozialismus lassen sie keineswegs ab.

Es ist schade, das Kaesdorf diesen Aspekt nicht aufgreift. Immer wieder geht es um das Leben und Überleben in der Mangelwirtschaft. Die seit mehr als 60 Jahren währende Einparteiendiktatur hinterfragt sie nicht. Auch die Verletzung von Menschenrechten wird ausgeblendet. Wer nach der Zukunftsfähigkeit des sozialistischen Kubas fragt, kann all dies aber nicht außen vor lassen.

Politisch unbedarft

Was dieser politisch unbedarft anmutende Blick auf die Dinge mit „Authentizität“ zu tun hat, bleibt das Geheimnis der Regisseurin. Sie habe keinen regimekritischen Film drehen wollen, gab sie zu ihrer Intention zu Protokoll. Und die Motivation für den Dreh habe im Wesentlichen darin bestanden, Eindrücke von einer Privatreise zu vertiefen.

Fazit: „Experiment Sozialismus“ überrascht durch einige bemerkenswerte Begegnungen und atmosphärisch starke Bilder, wirft am Ende jedoch mehr Fragen auf als er beantwortet.

Info: „Experiment Sozialismus – Rückkehr nach Kuba“ (Deutschland 2019), ein Film von Jana Kaesdorf, 80 Minuten. Im Kino

www.sun-also-rises.de

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