Digitales Deutsches Frauenarchiv: Geschichte aus Frauensicht
„Ich hätte auch schreiben können, Feminismus und Schwachsinn, denn die Kritik, die im Namen der Wissenschaft am Feminismus verbrochen wird, hat oft mit Wissenschaft wenig zu tun.“ Mit diesen Worten oppositionierte sich Johanna Elberskirchen 1903 gegen den Neurologen Paul Julius Möbius. In seinem antifeministischen Essay Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes hatte er drei Jahre zuvor behauptet, dass Frauen von Natur aus geistig weniger begabt seien als Männer. – „Nein, Herr Möbius, das Weib ist nicht schwach, nicht inferior, nicht physiologisch schwachsinnig‘, aber das Weib ist krank – es leidet zu sehr unter der Herrschaft des männlichen Sexus“, konterte sie in ihrem Buch Feminismus und Wissenschaft auf Möbius' Machwerk.
Frauengeschichte aufarbeiten
Die Medizinerin und Journalistin „war eine feurige Feministin, unbeugsame Streiterin für die Rechte von Arbeiter*innen und mutige Vorkämpferin für die Emanzipation von Lesben und Schwulen“, erklärt die Soziologieprofessorin Christiane Leidinger in einem Beitrag für das Digitale Deutsche Frauenarchiv. Elberskirchen kämpfte neben vielen weiteren Aktivistinnen im 19. und 20. Jahrhundert für das Frauenwahlrecht. Dass man die Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland oft bloß irgendwie mit dem Ende des Ersten Weltkrieges in Verbindung bringt, liegt an der auch heute noch meist männerdominierten Geschichtsschreibung. Die Historie der „großen Männer“ übergeht die Geschichte der Frauen und ihren harten langen Kampf etwa für Erwerbsarbeit, Wahlrecht und die Abschaffung des § 218.
Das Digitale Deutsche Frauenarchiv, das im September online gegangen ist, hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Wissenslücke zu schließen. Das Online-Archiv bündelt 200 Jahre Frauenbewegung in Deutschland in einem zentralen Archiv mit jederzeit abrufbaren digitalisierten Quellen wie Tagebücher, Zeitschriftenartikel und Plakate. Die Bestände sind aus dem i.d.a.-Dachverband – der Sammelverband der Frauen- und Lesbenarchive und -bibliotheken im deutschsprachigen Raum. Damit setzt das Online-Portal das im Koalitionsvertrag festgehaltene Ziel um, Frauengeschichte in einem zentralen Archiv zu bewahren und wissenschaftlich aufzuarbeiten.
Helene Stöckers „Neue Ethik"
Neben Johanna Elberskirchen sammelt das Fachportal auch biographsche Essays über viele weitere prominentere und weniger bekannte Akteurinnen: Etwa über Helene Stöcker, die dem radikalen Flügel der Historischen Frauenbewegung angehörte und dort vor allem als Sexualreformerin wirkte. Sie forderte für die Gesellschaft des Deutschen Kaiserreichs u.a. eine „Neue Ethik“, nach welcher Frauen frei und ohne Ehebündnisse ihre Sexualität ausleben können. Stöcker kämpfte für die Abschaffung des § 175, der männliche Homosexualität unter Strafe stellte. Sie gründete den „Bund für Mutterschutz und Sexualreform“, dessen Ziel es war, die rechtliche, wirtschaftliche und soziale Stellung der Frau zu verbessern. Von 1908 bis 1933 war sie Schriftleiterin der Zeitschrift des Bundes „Die Neue Generation“. Zugleich muss die Person Stöcker aber kritisch betrachtet werden. In der Forschung wird sie häufig als Vorläuferin der nationalsozialistischen Rassenideologie gesehen. Insbesondere wird ihr Engagement für das Recht auf Abtreibung mit ihrem Einsatz für Eugenik in Verbrindung gebracht.
Es können aber auch themenspezifische Essays zur Frauengeschichte im DDF gelesen werden – wie etwa Barbara von Hindenburgs Artikel „Erwerbstätigkeit von Frauen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik“, der die Arbeitsverhältnisse von Frauen vor und nach dem Ersten Weltkrieg untersucht. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts forderten Frauen erstmals „Gleichen Lohn für gleiche Arbeit". Die Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern und das Bild des Mannes als Haupternährer der Familie bestanden jedoch weiterhin fort. Im Ersten Weltkrieg änderten sich dann die Industriezweige, in denen Frauen üblicherweise tätig waren – von der Textilindustrie auf die Maschienen-, Metall-, Eisen-, Hütten- und Chemieindustrie sowie auf den Bergbau. 1922 setzten dann Parlamentarierinnen aller Fraktionen im Reichstag die Zulassung von Frauen als Rechtsanwältinnen und Richterinnen durch.
Ein Zeichen für die Gegenwart
Da die meisten Texte des Online-Archivs mit zahlreichen digitalisierten Quellen angereichert sind, eignet sich das DDF besonders als Recherche für Schüler*innen und Student*innen. Die Geschäftsführerin des DDF Sabine Balke sagte im Interview mit dem Deutschlandfunk, dass das Archiv ein Zeichen für die Gegenwart setze. Angesichts einer wachsenden AfD, die gegen Migranten polemisiert und alte Geschlechterrollen wieder herbeiredet, könne uns die kämpferische Haltung der Frauen in der Vergangenheit durchaus als Ansporn gelten, heute unseren Beitrag für die Demokratie zu leisten.
studiert Geschichte und Deutsche Literatur und war Praktikantin in der vorwärts-Redaktion von Oktober bis Dezember 2018.